Falter 03/20 (interview)

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This interview was published by Falter.at in March 2020.

Ich bin einfach nur ängstlich

Eigentlich wollten wir mit dem Rammstein-Keyboarder Flake Lorenz über seine geplante Lesung in Wien reden. Dann kam Corona und ein Telefonat über seine Angst, die DDR und das gute Leben

LUKAS MATZINGER — FEUILLETON, FALTER 12/20 VOM 18.03.2020

Wie fast alles im Leben des Christian Lorenz kam dieses Interview ganz anders als erwartet.

Weil er eine Transistororgel besaß und zu allen Proben kam, spielte der stotternde Werkzeugmacherlehrling mit nur 16 Jahren in der Punkband Feeling B. Sie bereisten mit dem Mehrzweckfahrzeug die DDR und durften sogar beim Staatslabel aufnehmen. Dann fiel die Mauer und aus der Asche von Feeling B stieg ein Projekt: Rammstein.

26 Jahre später ist Lorenz Keyboarder der größten deutsch singenden Band der Welt. Das gemobbte Kind ist jetzt ein Rockstar. Rammstein singen über Abgründe und spielen hart auf der Eins. Flake ist der arme Schelm im Kochtopf, wenn der brutale Sänger Till Lindemann seinen Flammenwerfer zückt. Das führt zu diesem Gespräch.

Seine Biografie hat Lorenz in zwei Büchern aufgeschrieben, in "Heute hat die Welt Geburtstag" aus dem Jahr 2017 hält er einen Monolog auf das Touren. Das Buch mieft nicht nach Rockerbiografie, sondern schildert wie unbeteiligt Nebensächlichkeiten des Bandlebens. Es beginnt mit dem steckenden Reißverschluss am Bühnenkostüm. In der Pause der laufenden Stadiontournee wollte Flake Lorenz in Österreich aus seinem Buch lesen. Corona hat die drei Termine, aber nicht dieses Interview verhindert. Am Telefon (natürlich!) sprach Lorenz über den Weltuntergang und seine Lebensbilanz. Er stottert kaum noch.

Falter: Herr Lorenz, auf zusammen 744 Seiten reflektieren Sie in "Der Tastenficker" und "Heute hat die Welt Geburtstag" Ihr Leben. Die aktuelle Seuchenkrise stellt viele Menschen vor existenzielle Fragen. Sollte Corona das Ende bedeuten -wie zufrieden können Sie mit Ihrem Leben sein?

Christian "Flake" Lorenz: Ich habe alles bekommen, nichts ist offen. Obwohl ich schon einige charakterliche Defizite aufweise: Meine Feigheit hat viel Ärger aufgewirbelt. Wie oft ich aus Angst vor Konfrontation unehrlich zu Frauen war! Natürlich war ich auch egoistisch, ich bin nicht stolz auf den, der ich war. Andererseits hat mich meine Blödheit zu meiner jetzigen Frau und Band gebracht, die mich besser gemacht haben. Über solche Bewegungen kann man viel nachdenken, und das tue ich.

Ihre Bücher bezeugen Schicksalsgläubigkeit: Das stotternde Kind, das in Müllcontainer gesperrt wird, endet in einer weltbekannten Rockband. Ihnen passiert das scheinbar alles, als könnten Sie das Glück des Hinaufstolperns kaum fassen. Fühlen Sie sich wirklich so fremd in Ihrem Leben?

Lorenz: Ich habe die ständige Angst, dass jemand kommt und sagt: "Genug gespielt, jetzt räum dein Zimmer auf!" Dieses Gefühl kennt jeder in der Band. Wenn ich mir unsere Entwicklung ansehe, komme ich mir manchmal wie ein Betrüger vor.

Vielleicht ist es ja Betrug. Sie haben einmal gesagt, Sie hätten sich in Ihrem Leben keine fünf Minuten angestrengt.

Lorenz: Das war kokett. Da wollte ich etwas gegen diese krankhaft ehrgeizigen Leute sagen, die keinesfalls erfolgreich werden. Ich war immer fleißig und habe schon als Teenager bei Feeling B vom süßen Gift einer Band gekostet. Das sollte mein Leben sein, und ich habe es durchgezogen. Meine Jugendtage habe ich bis 22 Uhr in Proberäumen verbracht, um halb sechs bin ich in die Lehre als Werkzeugmacher gegangen. Aber ich habe das nie als anstrengend empfunden, sondern nur als mein Leben.

Aktuell ist Rammstein in Winterpause, die Lesungen aus Ihrem Buch sind verschoben. Wie sieht Ihr Leben derzeit aus?

Lorenz: Ich habe Kinder.

Sie gelten als Langweiler, der daheimbleibt, den "Tatort" und Schwimmbäder liebt.

Lorenz: Völlig zutreffend. Mein berufliches Leben ist so aufregend, dass mich privat die kleinsten Dinge vor Schwierigkeiten stellen. Der "Tatort" bringt mein Herz zum Pochen, bei Fußballspielen leide ich so mit den Verlierern, dass ich abschalten muss.

Für jemanden, der sich jeden Abend auf der Bühne verbrennen lässt, wirken Sie ziemlich zart besaitet. Führen Sie auf Flügen noch einen Kleinteil eines Flugzeugwracks mit, weil es unwahrscheinlich sei, dass dieser Teil ein zweites Mal abstürzt?

Lorenz: Das habe ich hinter mir. Ich bin so oft geflogen, dass es nicht mehr möglich war, Angst zu haben. Wer zweimal im Jahr fliegt, kann sich aufregen, wer zweimal am Tag fliegt, empfindet es irgendwann wie Straßenbahnfahren. Auf der Bühne ist das außerdem etwas anderes, da bin ich verantwortlich. Das ist Dienst.

Haben Sie Angst vorm Sterben oder ein bisschen Lust am Weltuntergang?

Lorenz: Ich bin einfach nur ängstlich.

Etwas Diagnostiziertes?

Lorenz: Von einem Hypnotiseur. Laut ihm habe ich eine Grundangst, die ich auf heikle Situationen wie das Fliegen projiziere. Oder auf Krankheiten, ich war stark hypochondrisch und habe Diagnosen von Bekannten sofort selbst gefühlt. Dann hat er mich in Trance in einem Raum durch Stationen meines Lebens laufen lassen: Geburt, erster Sex, erste Band und so weiter. Ich bin zwischen diesen Punkten herumgelaufen, und das klingt jetzt wie in dem schlechten Buch, das ich einmal schreiben werde, aber habe die kritische Stelle wirklich gefunden.

Welche war es?

Lorenz: So zwischen zwei und drei Jahren, das konnte man genau abmessen. Wir sind hineingegangen und haben gesehen, dass ich wohl einmal zu fest in einer Bettdecke eingewickelt war oder aufs Klo musste und nicht an die Türklinke kam. Ich konnte ein hilfloses Gefühl nicht aus eigener Kraft lösen, und mein Körper hat dann auf Angst umgestellt, dass sich das wiederholt. Mir haben diese Sitzungen wirklich genützt. Natürlich hat der Mann auch immer Geld bekommen, vielleicht hätte er noch mehr gemacht, wenn ich weiter bezahlt hätte.

In ganz Europa schließen gerade Museen, Theater, Konzerthäuser. Wie viel Kultur brauchen Sie zum Überleben?

Lorenz: Ich gehe gerne spazieren. Ich erfreue mich an alten Zäunen, Fenstern und Toren oder wenn irgendwo ein Schrottauto ein schönes Bild ergibt. Das ist meine Kultur. Ich gehe selten in Ausstellungen, Konzerte sind sowieso problematisch: Oft bin ich danach so enttäuscht, dass mir die Band verleidet ist. Früher war ich kompromissloser Fan der Rolling Stones, dann habe ich sie im Olympiastadion gesehen und mich gefragt: Warum?

Haben Sie nicht Angst, dass es Leuten mit Rammstein genauso geht?

Lorenz: Wir fragen uns bei jeder Tour: Sehen wir noch gut aus auf der Bühne? Können wir diese Musik noch verkörpern? Dann schauen wir Mitschnitte an und sagten bisher immer: "Okay, kann man machen."

Im Œuvre Ihrer Band fehlt ein Lied über Seuchen. Arbeiten Sie jetzt daran?

Lorenz: Nein, wir schreiben keine Lieder, wenn wir uns nicht für ein Album zusammensetzen. Wenn Till (Lindemann, Sänger, Anm.) das Virus sehr beschäftigt, schreibt er vielleicht einen Text darüber.

Im Rammsteintheater sind Sie der Narr. Wollten Sie nie der tolle Hengst sein?

Lorenz: Das Publikum würde doch sofort merken, dass ich einfach kein großer Macho bin. Das würde niemals funktionieren. Stand heute bin ich außerordentlich froh, hinten am Keyboard zu stehen und Faxen zu machen. Ich will keinen Deut mehr.

Lesen Sie viel über sich?

Lorenz: Ich habe keinen Computer, kein Instagram und wie das heißt. Ich habe nicht den geringsten Antrieb mich zu präsentieren, Bilder oder meine Meinung zu teilen.

Wozu dann die Bücher?

Lorenz: Damit wollte ich Interessierten zeigen, wie es wirklich ist, ein bekannter Musiker zu sein, und was wirklich zu einem glücklichen Leben gehört. Mit Erfolg kann man sich alles versauen, noch schlimmer ist nur Bekanntheit. Ich war schon glücklich, als wir noch vor 50 Mann gespielt haben, besser ist es nie geworden. Der Musiker fühlt sich wie Gott, sobald er vor ein paar frohen Leuten spielt. Was hat man davon, dass einen viele Fremde kennen?

Sie wohnen noch in Ihrer Berliner Zweizimmerwohnung. Das ist Rammsteins Heimat, dort werden Sie doch erkannt.

Lorenz: In Prenzlauer Berg gibt es fast nur noch Zugezogene und Touristen. Viermal im Jahr erkennt mich jemand.

In "Heute hat die Welt Geburtstag" beschreiben Sie peinliche Anekdoten des Bandalltags, in Ihren Lesungen tragen Sie das im Stil eines Stand-up-Comedians vor. Wie haben Sie Ihre Kollegen davon überzeugt, dass Sie Rammstein damit nicht den letzten Schrecken nehmen?

Lorenz: Die anderen Bandmitglieder waren damit nicht einverstanden, sie hatten genau die Befürchtung, dass dieser Mythos beschädigt wird. Ich finde, jeder sollte bereits wissen, dass wir Menschen sind, die Fehler machen und denen Peinliches passiert.

Wenigstens alle paar Seiten schreiben Sie über Alkohol und Sex. Sind das noch große Themen auf Rammstein-Tourneen?

Lorenz: Für den einen mehr, für den anderen weniger. Wir sind alle über 50, da haben sich Prioritäten verlegt.

Die Passagen, in denen Frauen Backstage auftauchen und heftig gesoffen wird, spielen vor wenigen Jahren.

Lorenz: Na gut, um den Mythos zu wahren, beantworte ich die vorige Frage mit ja.

Am 25. Mai sollte die Rammstein-Tour in Klagenfurt weitergehen. Glauben Sie, dass das wie geplant stattfindet?

Lorenz: Ich habe keinen blassen Schimmer.

In Wien hat Rammstein das alte Konzertjahr beendet, in Kärnten wollen Sie das Neue beginnen. Sie haben schon früh mit den Österreichern Gottfried Helnwein und Rudi Dolezal und Hannes Rossacher zusammengearbeitet und einmal ein Lied über Josef Fritzl geschrieben. Welchen Eindruck haben Sie von diesem Land?

Lorenz: Wir als Ostler fanden alles Freie, Weltmännische immer großartig. Das ist in Österreich gegeben, gleichzeitig ist es weniger deutsch als Westdeutschland, nicht so piefig und böse. In Österreich beginnt die slawische Lockerheit, da ist viel Leben drin. Insofern ist Österreich für uns ehemalige DDRler das ideale Land.

Ihre Jugendzeit mit Feeling B beschreiben Sie als seligste Ihres Leben. Ist die DDR so etwas wie Ihr Paradies?

Lorenz: Ich empfand damals einen absoluten Glücksrausch. Das lag natürlich auch daran, dass ich jung und gesund war, keine Angst hatte und jeden Tag fröhlich war, in einer Band sein zu dürfen.

Was vermissen Sie an der DDR?

Lorenz: Ich habe an die Idee des Sozialismus geglaubt und glaube bis heute daran. Natürlich ist es besser, in Solidarität mit allen Völkern zu leben, jeden nach seinen Fähigkeiten arbeiten zu lassen und nach seinen Bedürfnissen zu bezahlen - die Vision war gut. Wie die DDR im Nachhinein verteufelt wird, wird ihr nicht gerecht.

Sie wurden selbst von der Stasi bespitzelt.

Lorenz: Sie sollten die Akten über mich lesen! Die Stasi hat überhaupt nicht funktioniert. Viele Informanten wollten niemanden anschwärzen, die haben das nur gemacht, weil sie erpresst wurden. In manchen Bands spielten drei Spitzel, die konnten Texte schreiben, für die sie ohne Stasi-Mitgliedschaft verhaftet worden wären. Es war bizarr. Natürlich weiß ich auch, dass die DDR Gewalt ausgeübt hat, um Menschen zur Idee zu bringen. Das hätte nicht sein dürfen.

Sie haben damals ein Protestkonzert gegen die Wiedervereinigung gegeben. Ist der Westen so schlimm wie befürchtet?

Lorenz: Viel schlimmer. Dieses ganze System ist auf Wachstum ausgelegt, die Gesellschaft arbeitet gegeneinander, Profitoptimierung steht vor allem Menschlichen. Wir beuten die Natur aus, damit irgendwer noch mehr Geld verdient. Sogar Kunst und Kultur werden nach Verkäuflichkeit bewertet.

Herr Lorenz, Sie sind quasi ein CEO des Kulturkonzerns Rammstein und verdienen bestens an der Globalisierung.

Lorenz: Das ändert nichts an der Tatsache, dass das System, an dem wir teilnehmen, nicht in Ordnung ist.

Was tun Sie für die Welt, die Sie sich wünschen?

Lorenz: Ich bin in einer Band, die viele junge Leute mit Mut erfüllt und beim Erwachsenwerden unterstützt. Die ihnen zu Freunden und einem Gemeinschaftsgefühl verhilft.

Haben Sie ein schlechtes Gewissen, wenn Sie auf Ihr Konto oder die Klimabilanz einer Rammstein-Tournee sehen?

Lorenz: Würden wir kein Feuer mehr machen oder gar nicht mehr herumfahren, würden wir der Menschheit in Summe weniger nützen als mit unseren Konzerten, die manche als glücklichsten Tag empfinden.

Führen Sie in der Band solche moralischen Debatten?

Lorenz: Wir diskutieren stundenlang über jedes Gedankenfitzelchen. Wir reden mehr, als wir Musik machen.

Wenn das Ihr letztes Interview wäre: Was soll von Ihnen erinnert werden?

Lorenz: Ist mir egal. Braucht nicht.

Christian "Flake" Lorenz wurde 1966 in Ostberlin geboren. Seine Mitschüler hänselten ihn, mit 16 Jahren kam er zur DDR-Punkband Feeling B. Seit 1994 ist er Keyboarder von Rammstein. Lorenz hat zwei autobiografische Bücher geschrieben.

Am 26. März hätte Flake Lorenz in Wien aus "Heute hat die Welt Geburtstag" lesen sollen. Den Abend will er am 4. November im Globe nachholen.