"Das ewige Rechtfertigen macht uns mürbe" (interview)

From RammWiki

This interview was published by the German magazine "Der Spiegel". It was done in 2001.

Original

Herr Lorenz, Rammstein haben in Deutschland seit Mitte der neunziger Jahre einen neuen Boom harter Musik ausgelöst, Sie selbst werden mittlerweile von anderen Bands gecovert. Wie gefällt Ihnen das?
Flake: Einerseits ist es schön, Auslöser einer Lawine zu sein. Allerdings gerät das zur Farce, wenn man sieht, dass Bands den Rammstein-Stil eins zu eins kopieren wollen. Die Band Tanzwut beispielsweise imitiert sogar unsere Bühnenshows. Bei denen regnet es regelrecht Feuer auf der Bühne. Das finde ich zum Kotzen und einfallslos.

Rammstein spielten von Anfang an mit provozierenden Symbolen. Wann wird aus Provokation Image?
Flake: Das haben wir längst erreicht. Wir sind und bleiben immer noch die bösen Buben der Nation. Die Geister, die wir riefen, werden wir nicht mehr los. Uns nervt das total. Was soll der Schwachsinn? Diese ganze Diskussion um unser angeblich rechtes Image ist unnötig und nervt. Wir machen unsere Musik, unsere Shows und unsere Texte, und wem das nicht gefällt, der soll sich das einfach nicht anhören und uns nicht mit dümmlichen Kommentaren nerven. Das ewige Rechtfertigen macht uns mürbe.

Aber sie heizen die Diskussion doch selbst immer wieder an, mit rollendem Gesang und bombastischen Bühnenshows, die an einen Reichsparteitag erinnern.
Flake: Wir machen gar nichts. Wir waren sicherlich eine der ersten Bands, die sich getraut hat, harte Musik mit provokanten deutschen Texten zu spielen. Aber was will man uns denn vorwerfen? Dass wir böse gucken? Dass wir schwarze Klamotten anhaben? Dass wir uns trauen, Wörter wie "ficken" und "Fotze" zu benutzen? Das macht doch jeder HipHopper heute.

Vielleicht liegt es an der Gesamtästhetik der Band?
Flake: Wir haben niemandem etwas getan, und trotzdem wird permanent auf uns draufgehauen. Neulich war in der Zeitung zu lesen: "Hitler schnitt letztes Rammsteinvideo". Ja, sind denn die Leute irre!? Was meinen Sie, was meine Eltern sagen, wenn die so etwas von ihren Kollegen gezeigt bekommen?

Man hat festgestellt, dass 30 Prozent der Rammstein-Anhänger auch Fans der Funpunker Die Ärzte sind. Wundert Sie das?
Flake: Überhaupt nicht. Ich bin auch Ärzte-Fan. Wir sind alle gut miteinander befreundet. Die kommen zu unseren Konzerten, wir gehen zu ihren, und anschließend trinken wir ein Bier zusammen. Das gehört dazu.

Ist nach Ihrem bisherigen Erfolg alles andere als ein Einstieg Ihres neuen Albums "Mutter" auf Platz eins der Charts eine Enttäuschung?
Flake: Wir würden uns schon wundern. Aber wir sind realistisch genug, um zu sehen, dass wir nichts gegen den Zeitgeist machen können. Wenn so ein Depp aus "Big Brother" gerade sein Album herausbringt, dann kommen wir da nicht vorbei.

Bei Ihrer letzten USA-Tournee saßen Sie mit Ihrem Kollegen Till Lindemann wegen "laszivem Bühnenverhaltens" in Massachusetts im Gefängnis, weil sie beide mit einem Gummipenis den Geschlechtsakt simulierten. Welche Erkenntnis haben sie aus Ihrem Knastaufenthalt gezogen?
Flake: Dass das alles andere als lustig war. Diese Erfahrung sollte jeder mal machen, vielleicht gäbe es dann weniger Straftaten. Ich saß in Deutschland bereits im Knast ein, aber das ist kein Vergleich zu US-Gefängnissen: Langer Flur mit Zellen, Neonlicht und Klimaanlage auf drei Grad minus.

Warum mussten Sie damals in Deutschland ins Gefängnis?
Flake: Wegen versuchter Republikflucht. Das war 1986. Dabei wollte ich gar nicht abhauen. Ich war zufällig im grenznahen Bereich, als drei Leute tatsächlich rüber sind. Mich haben die Vopos erwischt - und ließen mich tagelang im Knast schmoren. So war das damals in der DDR: Missverständnisse wollte keiner aufklären. Aber das ist ja heute nicht anders.