Amazon.de 2001 (interview)

From RammWiki

In 2001 Amazon Germany had an interview with Paul. The interview is archived here.

Original

Rechnet man die Live aus Berlin nicht mit, auf der auch keine neuen Songs zu hören waren, hat Rammstein seit fast vier Jahren -- seit Sehnsucht -- kein neues Material herausgebracht. Aber diese Zeit brauchte die Band um erst einmal den gesamten Globus mit ihrer Musik und ihrer Show zu beglücken, sich davon zu erholen, die neue Platte Mutter vorzubereiten und auch noch aufzunehemen, abzumischen und in bester Rammstein-Manier entsprechend optisch zu präsentieren. Doch nun ist es so weit: Das Mutterschiff legt ab und die Band gibt der Presse die Gelegenheit, sich klug zu machen über den Stand der Dinge bei Rammstein im Jahre 2001. In einem sehr unrammsteinigen Hotelzimmer voller Barockmobiliar setzte sich Gitarrist Paul Landers mit Amazon-Rockredakteur Wolfram Denzer auf filigranen Stühlen zusammen.

Amazon.de: Direkt zur Sache: In der Presse stand, Ihr habt die Scheibe in Belgien aufgenommen und das machen viele Leute in letzter Zeit. Warum eigentlich?
Paul Landers: Nein, da haben wir nicht aufgenommen. Aber das Galaxy Studio ist von der Ausstattung das beste Studio weltweit, oder zumindest in Europa. Die haben da so dicke Scheiben, dass man in Saal eins einen Düsenjäger explodieren lassen kann und zugelich nebenan in Saal zwei ein Klavier aufnehmen. Von der Ausstrahlung hat es den Charme einer Flughafenhalle. Wir haben da nicht aufgenommen, wir wollten da eigentlich nur mischen. Zum Mischen ist die Atmosphäre relativ egal, dachten wir jedenfalls... Wir haben es dann dort abgebrochen und landeten am Ende in einem winzigen Studio in Stockholm -- dunkel, der Putz fiel von der Decke, Mischpult war zu klein, da mussten zwei weitere angeklemmt werden und stehen konnten da drin nur zwei Leute zum Hören. Bis ein Song fertig war, hat es drei Tage gedauert und wir haben uns furchtbar gelangweilt. Meistens saßen wir gegenüber in einer sibirischen Suppenküche. In Stockholm wird es mittags um zwei dunkel und um elf erst hell: Viel konnte man da nicht machen. Das ist das reiche Rockstarleben.

Amazon.de: Das ist hart: paneuropäisch produzieren und sich dabei langweilen.
Paul: Das war wohl die verdiente Strafe. Beim Aufnehmen waren wir in Frankreich auf einem Weingut: Morgens klirrten die Flaschen, die Sonne schien, es war unglaublich. Abends kam der Rosé aus dem Kühlschrank. Wenn wir den nicht getrunken haben, wurden wir vom Hausherren böse angeguckt. Das war das Paradies schlechthin: Deswegen wurden wir dann auch mit Stockholm bestraft.

Amazon.de: Damit auch wieder ein bisschen Finsternis reinkommt. Wart Ihr wohl zu fröhlich... Habt Ihr das Songwriting auch in Frankreich gemacht?
Paul: Das versuchen wir zu vermeiden, obwohl uns das diesmal nicht ganz gelungen ist. Wir versuchen schon eine Vorproduktion zu machen. Erst gehst du in den Proberaum, da spielst du, bis du nicht mehr willst. Das nimmt man dann auf um zu sehen: "Ah, da sind wir" -- und dann geht man mit diesem Material ins Studio. Diesmal haben wir das sogar zweimal gemacht, einmal als Band und einmal haben wir es programmiert um mal zu schauen, wie das kommt.

Amazon.de: Ganz schöner Aufwand...
Paul: Ja, deutsche Gründlichkeit eben, wir können einfach nicht anders. Es muss ganz perfekt vorbereitet sein. Studiozeit ist teuer und man kann dann auch nicht abschalten. Im Studio kann ich mich nicht entspannen. Ich bewundere die Bands, die da so rumprobieren können. Das geht bei uns nicht, wir versuchen dann schon vorwärts zu kommen.

Amazon.de: Die optische Präsentation ist bei euch ja auch sehr wichtig. Wie kamt Ihr auf diese Idee? Wart Ihr zuvor in einem Museum für Pathologie oder so?
Paul: Nee, gibt es so etwas überhaupt?

Amazon.de: Ja, ich habe gehört, dass es so etwas in Wien gibt. Das optische Auftreten der Scheibe geht stark in so eine Richtung.
Paul: Ja, wir waren froh endlich was gefunden zu haben, womit wir leben können. Du musst ja als Band Rammstein, die lange nichts von sich hören ließ, auch ein bisschen was hermachen...

Amazon.de: Da muss man schon draufhauen, klar. Aber sich direkt in Formalin einlegen lassen, ist schon ziemlich kräftig.
Paul: Tja, stellen wir uns jetzt wieder aufs Dach und gucken Böse wie auf Platte eins? Wir wollen ja auch so toll sein und uns nicht wiederholen -- das sind wir uns ja auch selbst schuldig. Da saßen wir dann da und fragten uns: "Was machen wir nur?" Da waren wir richtig froh, dass wir auf diese Idee gekommen sind. Unsere Arbeitsweise ist nicht so, dass wir wissen, was wir wollen. Wir probieren einfach Sachen aus. So haben wir das bis jetzt immer gemacht. Wir machen mit dem das, mit jemand anderem etwas anderes. Dann kommen die Leute von der Firma und fragen, was auf das Cover soll. Und wir sagen dann: "Wissen wir noch nicht, lass uns mal machen."

Amazon.de: Das hier ist schon recht heftig geworden...
Paul: Findest du? Das ist doch niedlich...

Amazon.de: Ja, aber kalt. Passt zur Musik...
Paul: In dem Tank, in dem die Bilder für das Booklet aufgenommen wurden, war es wunderbar warm. Ich wollte gar nicht mehr raus. Da ist wohl was dran an dieser Mutter-Theorie, nämlich dass man immer zurückwill in den Mutterleib, weil es da so kuschelig warm ist. Feuertaufe

Amazon.de: Ihr wart jetzt lange verschwunden. Jetzt müsst Ihr auch wieder mal auf Reisen gehen und das Feuer brennen lassen...
Paul: So ist unser Schicksal.

Amazon.de: Hart, aber gerecht. Das habt Ihr euch aufs Haupt geladen. Was passiert also auf der Mutter-Tour? Die Show von Live aus Berlin hat die Erwartungshaltungen ja recht hoch geschraubt.
Paul: Jetzt haben wir den Salat. Jetzt erwarten die Leute Feuer und Sprengung und so. Tja, da müssen wir wohl ran. Aber live in Berlin war schon der Hammer. Das war ein besonderes Konzert, nicht der Standard. Auf der Tour vorher durch Deutschland haben wir nicht diesen Aufwand betrieben. Wir dachten in unserer Naivität, das Konzert sollte so der Abschluss der Sehnsuchtsära sein. Wir ahnten ja nicht, dass wir noch in die Welt hinaus müssen und dass wir noch andere Leute damit belästigen sollten. So haben wir uns also richtig Mühe gegeben und ein paar Extralampen aufgehängt. Tja, jetzt haben wir den Salat, jetzt erwarten alle die Monster-Show -- und wenn wir das dann wirklich auf der Tour bringen, dann müssten wir fast draufzahlen. Vielleicht sind wir auch so doof und machen das...

Amazon.de: Ihr könnt ja auf Wasser umsteigen, nicht dass es wesentlich billiger wäre...
Paul: Das ist schon geplant, aber wenn wir wirklich extrem was ändern würden an der Show, dann würden wir die Leute schon warnen: "Vorsicht! Kein Feuer!" -- oder so ähnlich, damit die Leute nicht enttäuscht sind.

Amazon.de: Die Pyromanen bleiben zu Hause...
Paul: Die werden nicht zu Hause bleiben, wenn wir ein bisschen was anderes machen. Ich finde, die Leute haben ein Recht, wenn sie zu Rammstein gehen, auch ein paar Faxen geboten zu kriegen. Es macht ja auch Spaß, nebenbei gesagt.

Amazon.de: Wird die Tour auch wieder nach Amerika gehen?
Paul: Bei Journalisten oder in Deutschland generell hat Amerika immer so einen hohen Stellenwert.

Amazon.de: Mich fragen das die Amerikaner, die wollen das schon wissen.
Paul: Na o.k., aber das muss man ein bisschen relativieren. Wir sind jetzt ein weltweit agierender Konzern, Rammstein AG, wobei Amerika ein Land von vielen ist. Wir sind jetzt nicht besonders auf Amerika fixiert. Wir freuen uns über jedes Land. Am meisten Spaß macht es uns in Polen und Mexiko, wenn es jetzt nach Spaß geht. Aber Amerika hat insofern Priorität weil es ein großer Markt ist, aber eben auch nur im Rahmen unserer Auslandstätigkeiten.
Aber ich habe sehr darauf gedrungen, weil mir das wichtig ist, dass wir in Deutschland anfangen, schon damit hier niemand das Gefühl hat, sie werden immer als Letzte beglückt. Ich kann mir das schon vorstellen, weil wir jetzt Jahre nicht hier waren, und die Leute schon denken: "Rammstein, wer war das denn noch mal, da war doch mal was", oder: "Jetzt kommen sie auch mal, jetzt brauchen sie auch nicht mehr kommen". Wir wollen den Fans auch das Gefühl geben, dass uns Deutschland sehr wichtig ist. Wir sollten eigentlich schon wieder nach Amerika, aber das haben wir jetzt abgeblasen, damit die Leute hier das Gefühl haben: "O.k., die waren zwar lange weg, aber die mögen uns." Ich hoffe, dieses Einschleimen funktioniert auch.

Amazon.de: Ich denke schon, dass die Tour ziemlich ausverkauft sein wird.
Paul: Ich kann nur jedem raten, sich das anzusehen. Ich würde es auch gerne mal sehen, aber das geht ja nicht.

Amazon.de: Ja, da steht man da oben und denkt, wie cool das da unten klingen muss -- und man selbst hat nur diesen Monitor...
Paul: Es kann ja auch umgekehrt sein, dass der Bühnensound ganz o.k. ist und unten klingt es wie Müll. Das ist uns in Australien passiert, auf dem Big Day Out-Festival, da haben die wohl ein bisschen an der Anlage gespart, da gibt es auch nicht so riesige PAs. Und AC/DC waren auch gerade auf Tour. Die hatten die "gute" Anlage und wir hatten nur so Kartoffelkisten. Ich war dann mal bei PJ Harvey unten um zu sehen wie es klingt -- und es klang so miserabel wie auf einem Dorf-Open-Air in Thüringen. Bei Rammstein ist das schon wichtig, dass es ein bisschen gut klingt, weil unsere Musik ziemlich voll gestopft ist mit dicken Gitarren und allem möglichen Gerumpel und die Gitarren sind auch das Fetteste und live schwer zu beherrschen. So ein gutes Trio wie Guano Apes: Die klingen eigentlich immer gut, wenn sie sich Mühe geben, während man bei uns schon ein bisschen zwirbeln muss. Unser Tonmann, Michael Bauer (hallo Michael!)...

Amazon.de: Tontechniker sind eigentlich das Zweitwichtigste...
Paul: ...genau, wenn der will, macht der meine Gitarre leise, und ich bin dann der Clown. Der hat das schon sehr gut drauf und hat uns oft gerettet. Es war brüllend heiß und feucht, aber wir haben uns tapfer geschlagen. Die Australier kannten uns komischerweise... Muttersprache

Amazon.de: Zu den Texten von Mutter: Irgendwie glaubt man ja schon, dass da jemand eine Menge Gottfried Benn gelesen hat.
Paul: Wer ist Gottfried Benn?

Amazon.de: Ein Dichter und Arzt, der recht heftige Sachen geschrieben hat. Ich glaube so in den Zwanzigern.
Paul: Das schreibe ich mir mal auf...

Amazon.de: Der fällt dann wohl als Einfluss aus. Wäre ein schöner Inspirator für Texte wie diese, die eigentlich durchgehend pathologisch sind.
Paul: Würde ich jetzt jedem selbst überlassen. Ich sag ja immer, jeder sieht es nach seinem Blickwinkel, und wenn man sagt, dass da pathologische Texte drin sind, dann würde ich mal zum Arzt gehen. Oder mal schauen, ob man selber nicht ein kleines Problem hat.

Amazon.de: Einige hatten das Problem mit der ersten Scheibe, dass sie es nämlich sehr lustig fanden, ich auch, während die meisten sagten: "Das ist nicht witzig, das ist doch gemein und fies." Wie kommt das?
Paul: Rammstein hat einen Humor, der ist unfreiwillig und auch freiwillig. Also, wir haben beides, genau wie wir einen Ernst haben, der beides sein kann. Einige Lieder, die wir komisch fanden, wo wir uns totgelacht haben, wo wir in die Knie gegangen sind vor Blödheit, die nehmen die Leute ernst und heulen. Und andere Lieder, die wir ernst meinen, da gehen die Leute in die Knie und lachen sich tot. Deswegen haben wir uns abgewöhnt, den Leuten zu erzählen, was ernst ist und was lustig. Das sieht ohnehin jeder anders.

Amazon.de: Aber schön zu wissen, dass ich nicht falsch lag.
Paul: Da liegst du überhaupt nicht falsch. Mir sind die Leute lieber, die eher den komischen Moment sehen als die, die das ganz arg ernst und alles für bare Münze nehmen. Diese Leute haben doch keine Lebensfreude. Ich dachte immer, die haben irgendwie Dreck am Stecken.

Amazon.de: So, wie ich leicht pathologisch sein müsste...
Paul: Man darf bei Rammstein auch lachen, das ist erlaubt!

Amazon.de: Wenn Ihr im Ausland seid, gebt Ihr dann den Leuten Übersetzungen oder müssen die damit leben, dass sie es nicht verstehen?
Paul: So wunderbare Zeilen wie: "Dort bei den Glocken wohnt ein Stein/ nur ich alleine kann ihn lesen/ auf dem Zaun der Rote Hahn" usw. -- das kann man überhaupt nicht übersetzen. Ich war früher ein Verfechter der "1:1-Übersetzung", damit die Leute überhaupt wissen, worum es bei uns geht. In der letzten Zeit neigen wir aber eigentlich dazu, nur partiell die Grundrichtung zu übersetzen. So etwas wie "du Hast" gibt es ja nicht als Wortspiel in anderen Sprachen, also funktioniert das einfach nicht. Da denke ich gerne an unsere Jugend zurück, als ich Deep Purple gehört habe: Da habe ich auch kein Wort verstanden, und fand es trotzdem toll. In Deutschland kann es ja sein, das die Texte wichtig sind, in Amerika zählt da vielleicht mehr die Gitarre und das reicht. Wir versuchen, Übersetzungen ins Internet zu stellen, aber nicht wortgetreu und auch nicht jeden Text.

Amazon.de: Aahh, Internet! Ihr seid dort ja nicht ganz unpräsent. Sehr gute Homepage, die ist wirklich gelungen! Aber vor allem gibt es eine Millionen Fanpages, und die geben sich richtig Mühe. Seid Ihr euch dessen eigentlich bewusst? Paul: Nee, aber das freut mich wirklich sehr.

Amazon.de: Wie sind eure eigenen Internetaktivitäten?
Paul: Wir loosen da noch ein bisschen, weil wir auch oft keinen Bock haben auf Digi-Kamera und so, Telefonleitung suchen und das Foto nach Hause schicken... Wir geloben aber Besserung und mehr Aktualität, und dass wir eben denen, die das interessiert, auch ein paar aktuelle Daten schicken. Versuchen wir jedenfalls.

Amazon.de: Abschlussfrage, damit ich was zum Verkaufen habe: Was sind deine aktuellen Lieblingsbücher, -filme etc.?
Paul: Ich lese gerade alles, was es über den Mount Everest gibt. Also nicht alles, aber eben In Eisigen Höhen und das von dem Irvine, von dem man nicht genau weiß, ob er es geschafft hat. Der letzte Film, den ich gesehen habe, war Snatch. Ich weiß nicht, ob der hier schon rausgekommen ist. Das ist ein Film von Guy Ritchie, der auch Bube, Dame , König, Gras gemacht hat. Man erkennt den Film daran, dass Brad Pitt so eine Nebenrolle spielen wird, falls er hier unter anderem Namen rauskommen wird.

-- Wolfram Denzer