Der mit den Tasten fickt (interview)

From RammWiki

This interview was released online from francoisduchateau.net on 2 May 2015. The interview itself is already from March 2015.

Original

Musikalisch hat Christian “Flake” Lorenz mit Rammstein eigentlich alles erreicht. Kein Wunder, dass der Keyboarder neue Spielfelder sucht. Der Berliner ist unter die Schriftsteller gegangen und hat mit seiner unbekümmert, fast schon naiven, Art seine Biographie verfasst - beziehungsweise den Teil, an den er sich noch erinnern kann, wie er sagt.

Flake hat Schriftstellerblut geleckt und will weitermachen. “Tastenficker”, so der Debüttitel, der den starken DDR-Bezug vermittelt, soll nur der Anfang sein. Er will mehr Bücher verfassen, doch das ist nicht so einfach. Ein Projekt, das er sich in den Kopf setzte, hat mit seiner Band zu tun - und die hatte bisherige Ghostwriter zur Verzweiflung gebracht.

Für die WAZ habe ich das Rammstein-Mitglied zu seiner Quereinstieg als Schriftsteller interviewt. Hier das ausführliche Gespräch aus März 2015:

Wenn man deiner Biographie folgt, dann müsstest du große Angst vor dem Schreiben deines Buches gehabt haben, Flake.
Flake: Das mit der Angst hat dann doch im Alter nachgelassen. Ich kann inzwischen Fliegen und für die Hypochondrie habe ich auch einen Trick: Ich denke nur noch bis morgens um neun an Krankheiten, tagsüber nicht mehr. Ich sage mir, dass ich mir ja am nächsten Morgen wieder Gedanken darüber machen kann. Dann muss ich mich nicht einen ganzen Tag damit herumquälen. Bei einem Buch gibt es nichts, wovor ich Angst haben müsste. Und dass etwas peinlich sein könnte, stört mich nicht. Dass die Leute blöd finden könnten, was ich mache, davor hatte ich erstaunlicherweise nie Angst. Weil mir ziemlich egal ist, was andere Menschen über mich denken, da ich es sowieso nicht allen recht machen kann.

Wie entstand die Idee, ein Buch zu machen? Und wie groß war der Respekt vor diesem Rekapitulieren, eine Art „Best of“ seines Lebens zusammenzufassen?
Flake: Ich habe das nicht so schwer gewichtet. Es gab eine Band-Besprechung mit dem Ergebnis, dass wir im Jahr 2014 keine Konzerte mehr spielen würden. Da dachte ich: Ich habe jetzt ganz viel Zeit. Schreiben kann man ja immer und auch nebenher auf die Kinder aufpassen. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit das Projekt in Anspruch nehmen würde und wie viel Zeit ich investieren muss. Anstatt ein Buch zu lesen, setze ich mich gemütlich hin und schreibe eins, dachte ich. Vom Aufwand sei das doch sicher fast dasselbe, nur dass die Wörter nicht herein, sondern herauskommen. Ich habe das nicht als schweres Projekt angesehen, sondern als Spielerei; den Laptop aufgeklappt und angefangen. Ich wusste nicht, ob es eine Biographie wird oder eine Aneinanderreihung an Aphorismen oder Gedankensplitter. Erst als das Buch halb fertig war, habe ich gesehen, wohin die Reise geht.

Wie verlief der Schreibprozess?
Flake: Sehr unspektakulär (lacht). Immer wenn ich mal kurz Zeit hatte, setzte ich mich ran. Das konnten mal zehn Minuten sein, eine Stunde oder mal eine ganze Woche gar nicht. Sehr disziplinlos, in der Musik bin ich da genauso wie beim Schreiben: grundsätzlich eher faul. Aber wenn ich etwas mache, dann mache ich es so schnell und so gut ich kann, damit ich mehr Freizeit habe. Ich habe abends geschrieben, wenn die Kinder im Bett waren. Oder früh morgens, wenn man eh noch nichts Vernünftiges machen kann.

Wie lange hast du insgesamt an deinem Buch gearbeitet?
Flake: Schwer zu sagen. Geschrieben habe ich von Mai bis November, aber ich habe auch mal Wochen zwischendurch gar nichts gemacht. Dazwischen waren auch Sommerferien.

Musstest du sehr viel nachbearbeiten? Du bist gerne ausgeschweift, hast Anekdoten reingeworfen. Da könnte man denken, dass so viel gar nicht redigiert wurde, um die authentischen Momentaufnahmen stehen zu lassen.
Flake: Ich habe null nachbearbeitet, sondern von vorne bis hinten durchgeschrieben. Deshalb kommen manche Themen auch mehrmals. Ich habe nichts thematisch abgehandelt, sondern genau so, wie es mir eingefallen ist.

Welche Art von Büchern liest du selber gerne?
Flake: Alles. Ich verschlinge alles, was ich kriegen kann. Ich bin ein Vielleser. Ich liebe es unheimlich. Ich kann da in diese Welt eintauchen, gerne auch Klassiker, ich bin da für vieles offen.

Auf Tour…
Flake: …lese ich ununterbrochen und mache nichts anderes. In sechs Wochen Tour schalte ich nicht einmal den Fernseher an im Hotel. Ich lese im Flugzeug, auf dem Weg vom Flughafen ins Hotel. Das ist der Punkt, wo ich Frieden finde.

Könntest du dir weitere Buchprojekte vorstellen?
Flake: Ja. Ich denke darüber nach.

Wie schnell hast du gebraucht um den Buchttitel „Tastenficker“ zu finden? Flake: Ich hatte erst einige andere Ideen, die waren jedoch sehr Rammstein-spezifisch, wie „Ein Stein allein“. Die haben mir alle nicht gefallen. Irgendwann erinnerte ich mich an das Wort „Tastenficker“, als ich einen anderen Keyboarder getroffen habe. Ich musste lachen. Ab dem Zeitpunkt stand der Titel für mich, zweifellos. Da war das Buch etwa halb fertig.

Der Titel passt, weil er ja gewissermaßen auch ein Ost-Slang ist. In deinem Buch geht es ja auch um deine Jugend in der DDR, Berlin. „Für Elise“, heißt es in der Widmung zu Beginn. Der Flake-Humor oder steckt wirklich eine Elise dahinter?
Flake: Nein, ich meine das Scheiß-Klavierstück, an dem ich mich natürlich probiert habe, weil es so wunderschön leicht anfängt. Und dann kommt dieser blöde Zwischenteil. Es ist Hass. Jeder Klavierspieler weiß, was gemeint ist.

Wie alt sind deine Kinder?
Flake: 20, 14, 13, 11, 1.

Wenn deine Kinder dein Buch lesen werden: Würden sie etwas erfahren, was sie noch nicht von ihrem Vater wissen?
Flake: Durchaus. Aber es gibt nicht viel, was mir peinlich ist oder ich verheimlichen würde. Ich bin sehr für Offenheit.

Wie haben die anderen Bandmitglieder reagiert, als du gesagt hast, du nutzt die freie Zeit für ein Buchprojekt?
Flake: Wir haben das nicht thematisiert. Sie haben es noch nicht gelesen.

Musikalisch hast du mit Rammstein viele Gipfel erklommen. War es auch aus diesem Kontext heraus eine schöne Abwechslung, künstlerisch mal etwas ganz anderes zu machen?
Flake: Es hat sehr viel Spaß gemacht. Ich würde gern noch mehr schreiben und habe schon etliche Ideen. Eine wäre, ein Buch über Rammstein zu schreiben. Dazu habe ich zwischendurch auch schon recht viel aufgeschrieben, aber noch keine Ahnung, wie ich das mit der Band mache. Wir hatten schon einmal überlegt, eine autorisierte Biographie über uns von einem Schriftsteller anfertigen zu lassen. Aber irgendwie war eine Zusammenarbeit nicht möglich, die Leute verzweifelten. Ein Bandmitglied hat dies erzählt, der andere hat die Geschichte anders gesehen. Der Schreiber konnte den Nenner nicht finden, von dem jeder gesagt hätte: es stimmt. Vor diesem Problem würde ich natürlich auch stehen. Bei einer Bandbiographie die Namen weglassen, das wäre blöd. Ich könnte es subjektiv aus meiner Sicht schreiben, die anderen müssten es ja gar nicht gut heißen. Es wäre das, was Flake eben denkt. Oder ich gehe hin und quäle mich eben doch durch die Konfrontation. Da bin ich mir noch nicht über das „wie“ im Klaren, würde es aber unheimlich gerne machen. Auch hatte ich immer die Idee ein Buch zu schreiben, dass wie ein Roman geschrieben ist und auch als Roman deklariert ist, aber auf einer wahren Geschichte beruht. Im Prinzip ist das auch eine Biographie, die ich recherchiere und in Romanform herausbringe. Das wäre unanfechtbar, weil in Romanen darf man schreiben, was man will. Den Menschen, über den ich schreiben würde, würde ich auch nicht nennen.

An Ideen scheint es nicht zu mangeln.
Flake: Ich hatte viel mehr Befürchtungen, dass das Schreiben an sich schwieriger sei. Man redet ja immer von Stil, Wortwahl, Satzbaukasten, Zeitform. Völlig ungebildet und unberührt habe ich mich darangesetzt und es funktioniert ja auch auf diese Art. Ich muss nicht zwingend einen Schreibkurs belegen.

Das ist dann ja auch ein Stil. Wie mit der Musik. Dort haben Rammstein ja auch nicht nach Lehrbuch musiziert, sondern ihren eigene Interpretation gefunden, ihre Instrumente einzusetzen.
Flake: Bei der Musik hatten wir aber schon etwas mehr Grundkenntnisse, als ich beim Schreiben.

Berlin spielt eine wichtige Rolle in deinem Buch. Du warst immer da, hast gesehen, wie Berlin sich über die Jahre und Jahrzehnte gewandelt hat. Nicht jedem Ur-Berliner gefällt die Entwicklung der Stadt. Wie betrachtest du deinen Kiez?
Flake: Ich empfinde das genauso schlimm. Ich rege mich immer tierisch auf über die vielen Computergeschäfte und Versicherungsbüros, aber das liegt auch daran, dass ich alt werde. Man findet immer blöde, wenn sich Sachen verändern, wenn man kein Teil der Veränderung ist. Jetzt stehe ich außen vor. Junge, dynamische, erfolgreiche Leute mit Geld aus Westdeutschland kommen hierhin, bezahlen die irren Mieten mit einem Lächeln und treiben dadurch die Mieten für den Rest in die Höhe. Und dann benehmen sie sich auch noch schlecht, in dem sie beim Bestellen des Kaffees noch nicht einmal aufhören zu telefonieren. Das regt mich auf.

Könntest du dir vorstellen, deinem Berlin irgendwann den Rücken zu kehren?
Flake: Nein, wo soll ich denn hin (lacht)? Ich wäre sehr traurig, wenn ich wegziehen müsste. Es ist natürlich anders, als es früher mal war, aber immer noch die Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Und so wird es auch bleiben. Ich sehe keine Alternative.

In deinem Buch geht es auch um deine Vorliebe für Autos. Gibt es irgendeinen unerfüllten Auto- oder Oldtimer-Wunsch?
Flake: Ich muss gestehen: Ich hatte alles (lacht). Es reicht, wenn ich ein Auto mal kurz hatte. Man muss ja nicht gleich alles besitzen. Der Wunsch, die Sehnsucht ist oft schöner, als die letztendliche Erfüllung. Das ist auch eine Erkenntnis, die mich wie einen Schlag getroffen hat.

Deine Oldtimer-Vermietung...
Flake: Läuft nicht mehr. Ich bin da komplett raus. Ich habe mich im Unfrieden von meinem Partner getrennt, was ich nicht im Buch ausbreiten wollte. Zehn Jahre habe ich das gemacht mit Band und Vermietung und beides hat gelitten. Ich war nicht genug in der Firma, um das Geschäft ausreichend zu kontrollieren. Und die Band war auch sauer, wenn ich nach einer Probe direkt abgehauen bin, weil wir noch eine Ausfahrt hatten. Das hat nicht zusammen funktioniert.

Solche Projekte würdest du in Zukunft also nicht mehr angehen?
Flake: Richtig. Als Musiker sollte man in Zukunft besser nur Musik machen, habe ich gemerkt.

Anfangs erwähnst du im Buch, dass dich Künstlerbiographien langweilen, weil die meisten Lebensläufe doch sehr ähnlich verlaufen. Gibt es dennoch eine Biographie, die dich richtig fesseln konnte?
Flake: John Peel, auf jeden Fall. Wie er geschrieben hat und was er erlebt hat, fand ich grandios. Dass er im dritten Kapitel gestorben ist und seine Frau weiterschreiben musste, war auch ein wesentlicher Grund dafür, warum ich gesagt habe: Ich schreibe meine Biographie jetzt fertig, damit mir das nicht passiert. Für das Buch war es sehr schade. Er hat es so humorvoll und spritzig geschrieben, dass ich gerne sein ganzes Leben von ihm zu Ende erzählt bekommen hätte.

Machst du dir Gedanken darüber, wie dich Leute in Erinnerung behalten?
Flake: Das ist mir egal.

An wen richtet sich dein Buch? An Rammstein-Fans?
Flake: Eher Nicht-Rammstein-Fans. Ganz normale Leute, die sich fürs Leben interessieren oder denen es als Kind so ähnlich wie mir ging. Rammstein-Fans wollen Studiotermine und wissen, wer mit wem. Diese Sachen habe ich bewusst weggelassen. Es ist ein Buch auch für Rammstein-Fans aber nicht ausschließlich.