Erlaubt ist, was gefällt - "Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr" (interview)

From RammWiki

This interview was released in 2009 on the website abendblatt.de (here).

German original

Berlin. Vier Jahre nach dem letzten Album "Rosenrot" und einer kreativen Pause meldeten sich die 1994 gegründeten Berliner Brachialrocker Rammstein am 16. Oktober mit dem sechsten Werk "Liebe ist für alle da" zurück. Die erste Single "Pussy" kletterte auf die Spitzenposition und auch das Hamburger Konzert am 14. Dezember in der Color-Line-Arena ist bereits seit Monaten ausverkauft - Rammstein als verlässliche Größe. Das Abendblatt sprach in Berlin mit Gitarrist Richard Zven Kruspe über die neue Platte und das enge musikalische Korsett als Verantwortung gegenüber den Fans.

Herr Kruspe, warum wird Metal in Deutschland außerhalb der Rockszene nicht ernstgenommen?
Ich glaube, dass Musiker als Profession in Deutschland generell nicht ernst genommen wird. Wir sind eben keine Juristen oder Mediziner.

Aber ein Grönemeyer hat trotzdem ein ganz anderes Ansehen. Der gemeine Feuilletonist fährt vielleicht einmal in seinem Leben nach Wacken, schreibt im Schlamm seine Opa-erzählt-vom-Krieg-Geschichte und lässt ansonsten lieber die Finger von Stromgitarren-Geballer.
In den 80ern war deutscher Metal sehr populär mit Bands wie Accept, Sodom oder den Scorpions. In den 90ern verlor der Mainstream aber viele Jahre lang den Bezug zu Hardrock. Vielleicht gab es auch einfach keine "typisch deutsche Metalband. Die klangen ja alle wie ihre internationalen Kollegen.

In diese Lücke stieß Mitte der 90er Rammstein zusammen mit Bands wie Oomph! oder Fleischmann - die "Neue Deutsche Härte". War Metal für Sie, bis 1989 hinter dem eisernen Vorhang eingeschlossen, nach der Wende eine wichtige Inspiration?
Nein, ich bin musikalisch mit den 70ern aufgewachsen, vor allem mit Led Zeppelin und später AC/DC, und hörte stundenlang ausgelutschte Kassetten. Ich liebe diese Zeit, diese Musikqualität ist bis heute nie wieder erreicht worden.

Hätte Rammstein nicht 1994 begonnen, sondern heute: Wäre der Erfolg der gleiche gewesen?
Kaum. Welche Band hat heute das Vertrauen des Labels, mehr als ein Album aufnehmen zu können? Wir hatten damals überhaupt keine Ziele, weil wir dachten, dass man als ostdeutscher Musiker sowieso nichts erreichen kann. Es war eine Zeit der Sorglosigkeit. Nachdem wir im den Berliner Senatswettbewerb gewonnen hatten, haben wir im Februar 1994 einer Plattenfirma unsere Songs vorgespielt und wurden rausgeworfen. Wir haben darüber gelacht und waren überhaupt nicht enttäuscht.

Diese Plattenfirma dürfte sich ärgern. Warum wurde Rammstein trotzdem so groß?
Weil Rammstein authentisch ist, wie auch AC/DC. Versuchen Sie heute mal, einen wiedererkennbaren Sound zu kreieren. Wir haben das getan mit der Verbindung aus deutschem, weil Elektro-inspirierten Stampfbeat und Gitarrenwänden...

...und wohlkalkulierter Empörung mit dem Riefenstahl-Video zu "Stripped" oder dem Song "Mein Teil" über den Kannibalen von Rotenburg. Im neuen Lied "Ich tu dir weh" erwähnt Rammstein neben Annehmlichkeiten wie "Stacheldraht im Harnkanal" die Devise "Erlaubt ist, was gefällt". Gibt es denn keine Grenzen für die eigentlich kaum noch überraschenden Rammstein-Provokationen?
Natürlich gibt es Grenzen. "Erlaubt ist, was gefällt" ist das Ziel, was wir erreichen wollen. Nicht nur, um Anzuecken sondern um musikalisch auch über den Tellerrand zu schauen. Das musikalische Korsett von Rammstein ist eigentlich sehr eng. Wenn man ein Image hat, dann sollte man das auch ehrlich pflegen. Ich würde auch live lieber wie Angus Young über die Bühne toben und Soli spielen, aber Rammstein ist auch Verantwortung.

Wer sucht, der findet bei Rammstein ja sogar Brecht- und Goethe-Zitate. Die erste Nummer-Eins-Single "Pussy" ist aber kaum interpretierbar. Wie kommt man auf so eine platte Nummer, Westerwelle-Englisch mit vermeintlich deutschen Vokabel-Klassikern wie "Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr", "Autobahn" und "Mercedes Benz" zu kombinieren und als Videoclip auch noch explizite Porno-Sauereien zu veranstalten?
Die Nummer als Song geisterte schon lange bei uns rum, und der Sound, dieser poppige Techno-Charakter, inspirierte Till, aus diesen Vokabeln einen Text zu stricken. An der Grenze, aber als erste Single mal etwas anderes als Hardcore-Kracher wie "Rammlied".

Hardcore blieb aber ein Thema...
Wir haben "Pussy" an den schwedischen Regisseur Jonas Åkerlund geschickt und drei Stunden später kam eine E-Mail zurück: "Ok, Jungs, lass uns eine Revolution starten und einen Porno drehen". Und statt lange über moralische oder wirtschaftliche Konsequenzen nachzudenken, haben wir es getan.

Ich erspare hier mal Details, aber MTV und Co. werden sich nicht gefreut haben.
Weil sie sowas nicht senden können. Aber das Erotik-Portal, welches das Video zeigen durfte, hatte so wie ich gehört habe in zwei Wochen um die 11 Millionen Clicks.

Werden wir lieber wieder jugendfrei. Ein krasser Kontrast zu "Pussy" ist "Roter Sand", eine tragische, sehr romantische Duell-Ballade. Vielleicht der - hoho! - Album-Höhepunkt.
Ja, das denke ich auch. Ich bin ein großer Western-Fan und liebe Ennio Morricone, deshalb bin ich froh, dass Till diesen Western-Text geschreiben hat.

Vielleicht liegt es ja am deutschen Text, aber beim tragischen Pistolen-Duell am Strand um eine Frau dachte ich eher an "Effi Briest" von Fontane.
Ich fasse es nicht. Na, denken Sie, was sie wollen.