Feuer und Flamme für MTV (interview)

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This interview was released in the German magazine "Der Spiegel Kultur Extra" in their issue 08/1997.

Original

Martialische Shows, monströse Posen und markige Texte: Die Deutsch-Rocker von Rammstein spielen nach bewährtem Rezept die bösen Buben - und finden immer noch Leute, die sich darüber aufregen. VON HAUKE GOOS

Blaues Licht von oben, an den Mauern alte Konzertplakate. Wer dem Geheimnis von Rammstein auf die Spur kommen will, der muß zunächst durch eine düstere Toreinfahrt im Ost-Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Über einen Hinterhof, in dem Fahrradständer der DDR-Zigarettenmarke f6 stehen, durch eine Eisentür, immer dem Hinweis "VIP Lounge" nach. Im zweiten Stock betritt er die Zentrale des Rammstein-Kults.

Im Billardraum hängen die Porträts der sechs Bandmitglieder überlebensgroß an der Wand: Gitarrist Richard Kruspe, blutüberströmt, fahles Licht, die Augen geschlossen. Und Christoph Schneider, der Schlagzeuger, entrückt im Schmerz, ein Gestell aus Schrauben und Klammern im Mund - Heiligenbilder einer Rockband, die das Überlebensgroße, Monströse zum Geschäftsprinzip erhoben hat, deren Bühnenshows ein Höllenspektakel sind, ein klingendes Inferno.

Fotografiert hat sie der österreichische Maler Gottfried Helnwein. Auf seiner Burg bei Koblenz kippte er eine Kiste mit chirurgischem Werkzeug vor ihnen aus, Originalinstrumente des großen Ferdinand Sauerbruch. "Ein extremer Typ", sagt "Flake" Lorenz, der Keyboarder, anerkennend. Auf dem Bild trägt er ein Gerät im Gesicht, mit dem Ärzte sonst Brustkörbe auseinanderhalten. Daß Helnwein Scientologe sein soll, ist Rammstein egal. Malen kann er; einen schlechten Ruf haben sie selbst. Daß Helnwein mit seinem Chirurgenbesteck seit Jahren hausieren geht - wen kümmert's? Die Fotos drücken die Freude über das Erreichte aus - und das Erstaunen darüber, daß man mit alten Hüten noch immer Eindruck machen kann.

Hier, im Jugendklub Knaack, hat alles angefangen, und hierher ziehen sich die Helden zurück, wenn sie mal wieder die Welt gegen sich aufgebracht haben. Die Welt, das sind vor allem der Popsender MTV, der sich weigert, ihre Videos zu zeigen, und die Journalisten, die in der kruden Mischung aus Blut, Fleisch und Feuer gern Indizien für Fascho-Rock erkennen.

Der Klub ist das Wohnzimmer von Rammstein. Hier trinken sie Bier und bestellen Wodka auf Eis, als wären sie noch immer die Jungs aus Schwerin und Ost-Berlin: Sänger Till Lindemann, der gelernte Korbflechter, Bassist Oliver Riedel, der Stukkateur, Gitarrist Paul Landers, Richard, Christoph und Flake, der Werkzeugmacher war, bevor er Keyboarder und Clown der Band wurde. "Erfolg macht sexy", sagt er und blickt herausfordernd in die Runde; seit ihnen auf der Bühne BHs zufliegen, halten sie alles für möglich.

Rockmusik ist Schlacht. Guter Rock ist Krieg. Da hatte sich der MTV-Mann ins Backstage-Zelt getraut, einer gegen alle, weil Rammstein ihn darum gebeten hatten. Unstimmigkeiten wollte er ausräumen, erläutern, warum sein Sender die Gruppe boykottiert. Dann ging alles sehr schnell. "Rammstein zünden MTV-Manager an", titelte am nächsten Tag die Lokalpresse, und Augenzeuge Stefan B. durfte das Ungeheuerliche in Worte fassen: "Die Band umringte den Mann, fesselte ihn mit Klebeband an einen Stuhl und band ihm eine Rauchbombe ans Bein." So entstehen Legenden.

"Alles Quatsch", sagt Rammstein-Manager Emanuel Fialik, nachdem sich der Rauch verzogen hat. Der inszenierte Zwischenfall beim Hurricane-Open-air-Festival im Juni sei "Ausdruck einer Verärgerung" über die Weigerung des Musiksenders, das Erfolgsvideo "Engel" abzuspielen. Viel nackte Haut, Zombie-Kinder in Käfigen, eine phallische Bildsprache und Gitarren als Flammenwerfer - die Band, heißt es knapp bei MTV, passe einfach nicht zum "onair-look" des Senders. Der Eklat im Zelt, schob die Plattenfirma nach, sei ein Rock'n'Roll-Spaß und die Rauchbombe im übrigen die gleiche, die Rammstein-Sänger Till bei Auftritten am Bein trage.

Eine Fehlzündung in Sachen guter Geschmack - in jedem Fall aber ein gelungener PR-Gag mit perfektem Timing. Gerade rechtzeitig vor Erscheinen des neuen Albums "Sehnsucht" erinnerten Rammstein daran, daß sie sich ihren Ruf als Deutschlands Skandalband Nr. 1 mit einer wüsten Mischung aus Feuerwerk, groben Gitarrenriffs und ironischem Zierat hart erarbeitet haben. Rammstein, sagt Richard, der Gitarrist, das klingt kraftvoll, hart, eckig. Und "ein bißchen brutal, direkt". Geschmacklosigkeit und Rebellentum als Pose - wie kaum eine andere deutsche Band setzen Rammstein darauf, daß man mit Schaustücken aus dem Rock-Museum noch immer Furore machen kann. Und der Erfolg gibt ihnen recht.

Als der Musikmanager Fialik die Gruppe 1993 zum erstenmal hörte, war er überwältigt. "Hier war etwas, das die Fischer-Chöre verband mit einer Metal-Band." Musik gemacht haben die Rammstein-Rocker vorher auch schon. Sie spielten in Ost-Berliner Bands wie "Feeling B" oder "Inchtabokatables", hatten Spaß und einigen Erfolg und suchten nebenher nach einer Möglichkeit, wie sich Technik zusammenbringen ließe mit der menschlichen Stimme. 1993 kam ihre Chance. Aus programmierten Beats und einer Live-Gitarre nahmen sie ein Demo-Tape auf, Sänger Till brüllte die Texte ein - unter der Bettdecke, weil nebenan ein lärmempfindlicher Ethikprofessor wohnte. Die Kassette schickten sie an den Berliner Kultursenator und gewannen eine Woche Studio. In dieser einen Woche spielten sie vier Lieder ein.

Zwei Fragen, sagen sie heute, hätten sie damals beschäftigt: Wie können wir, erstens, die Musik machen, die wir machen wollen? Und zweitens: Wie schaffen wir es trotzdem in die BRAVO? Von Anfang an wußten sie, was sie nicht wollten: karierte Hemden, lange Haare, Lagerfeuerromantik. Auf ihrer ersten Amerika-Reise, sagt Richard, hätten sie plötzlich begriffen, daß englische Texte nicht zu Rammstein passen. "Die Farben, die Landschaft, das Klima - du kannst in Berlin unmöglich amerikanische Musik machen."

Also sangen sie deutsch. Und fanden schnell heraus, daß im zusammengelegten Deutschland fast alles möglich ist für eine Band, die begeistert durcheinanderwirft, was Jugendpädagogen bedenklich finden. Ein bißchen S/M, Punk und Pathos, dazu Tills expressive Texte, das rollende "R" von Zarah Leander und eine raunende PR.

Schon ihre erste CD "Herzeleid" lief sensationell. In kurzer Zeit verkaufte sich das Album über 400000mal. "Sex ist eine Schlacht", singen sie, "Liebe ist Krieg." Auf dem Cover posierten sie mit nacktem Oberkörper und kurzgeschorenen Haaren. Der Kultregisseur David Lynch verwandte zwei ihrer Titel in seinem Film "Lost Highway".

Klar, daß sie nach diesen Erfolgen bei der eingeschlagenen Richtung blieben: Am Anfang hatten sie den Bandnamen wegen seines harten Klangs gewählt. "Wir sind Ostler", sagt dazu Schlagzeuger Christoph, "das mit der Flugschau-Katastrophe war uns gar nicht gegenwärtig." Später jedoch schrieben sie einen Song über das Unglück und ließen die Liedzeile "Ein Mensch brennt" aus ihrem Hit "Rammstein" auf T-Shirts drucken.

Nicht nur für MTV ergibt sich daraus das, was man in der Branche das "Sandwich-Problem" nennt. Was spielt man vor und nach einem Rammstein-Titel? Wie, bitte schön, soll der Musikcomputer das Gesamtprogramm hinkriegen, wenn Rammstein die Mischung versauen?

Das, was an Rammstein mißfällt, sagt der Manager, "ist die Ahnung, daß es sehr deutsch ist, was die machen". Und weil auch er nicht so recht sagen kann, was "das Deutsche" ausmacht, fällt ihm schließlich nur "die Verführungsqualität der Texte" ein. Die Texte, sagt Christoph, seien "so provokant, daß alle sagen: ,Heil Hitler!'" Ein Mißverständnis, behauptet Paul: "Die westliche Welt langweilt sich. Die Leute freuen sich, wenn mal einer nicht katzbuckelt."

Doch Erfolg macht müde. "Die superutopische Turbo-Energie, die uns am Anfang umgenietet hat, ist weg", sagt Paul. Vor drei Jahren haben sich die sechs noch gefreut, wenn das Knaack voll wurde. Heute sitzen sie in der VIP-Lounge, auf rotem Kunstleder, unter braunen Wandfliesen, und planen die Eroberung der Welt. Einen Kopf hat die Gruppe bis heute nicht, nur Köpfe. Und weil sie einen Leithammel nicht akzeptieren, gibt es sechs Generäle, keine Soldaten.

"Wir waren Freunde", sagt Richard, "heute sind wir Kollegen." Was ist, wenn einer plötzlich keine Lust mehr hat? Die Band auseinanderbricht? Es bleibt das Gefühl, einmal im Leben den Jackpot geknackt zu haben, einmal sechs Richtige, ein einziges Mal die Bank gesprengt. Und der Traum, einmal wenigstens durch Amerika zu touren, einmal den Amis zu zeigen, wo der Hammer hängt. "Rammstein", sagt Paul, "det war einfach so da. Eine Explosion, die uns überrollt hat."