Laut.de 2014 (interview)

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This interview was released under the title Pack deine Eier und drück! (Grab your balls and squeeze!) on the website laut.de on 27 November 2014.

German original
Sieben Jahre nach dem selbstbetitelten Debütalbum bringen Rammstein-Gitarrist Richard Kruspe und sein Emigrate-Gefolge unter dem Titel "Silent So Long" endlich eine zweite Studioproduktion an den Start.

Rammstein-Gitarrist Richard Kruspe wirkt auf den ersten Blick wie ein durchgestylter Rockstar, der genau weiß, was er will, wann er es will und wie er es bekommt. Er ist ein kantiger Zeitgenosse, mit ruhigem Blick, dicken Oberarmen und schwarz lackierten Fingernägeln. Mit einer undurchdringlichen - fast schon unnahbaren Aura ummantelt, fällt es dem Gegenüber zunächst schwer daran zu glauben, dass sich hinter dieser fleischgewordenen Fassade aus Selbstbewusstsein, oberflächlicher Arroganz und Professionalität ein Mensch verbirgt, der zu mehr fähig ist, als nur zum Runterleiern gängiger Promo-Phrasen.

Doch dem ist so. Richard Kruspe kann sogar richtig ausholen, wenn es um spannende Themen geht. Und lächeln kann er auch. Er kann sich bisweilen sogar schütteln vor Lachen. Ich hab's auch nicht geglaubt. Aber so ist es. Ich hab's erlebt.

Berlin, November 2014, Universal-Office: Promotag mit Richard Kruspe und Arnaud Giroux von Emigrate. Richard sitzt bereits im achten Stock des Gebäudes auf einem schwarzen Lederstuhl und blickt mit einer Zigarette in der Hand genüsslich aus dem Fenster in Richtung Osthafen. Aber wo ist Arnaud?

Hi Richard, alleine hier?
Richard: Arnaud kommt gleich. Der hat scheinbar seinen Flieger in New York verpasst.

(Die Tür geht auf, Arnaud kommt rein. Beide fallen sich wie Brüder in die Arme.)

Richard: Was war los?

Arnaud: Keine Ahnung. Montag, Dienstag, Mittwoch: Ich habe irgendwie nicht mehr durchgeblickt, falsch eingecheckt und alles verpeilt. Sorry, aber in New York herrscht nur noch Chaos. Da blickt doch kein normaler Mensch mehr durch.

Richard: Ja, stimmt. Die Stadt hat sich echt verändert. Auch die Menschen sind anders geworden. Als ich das letzte Mal dort war, wollte ich in einem Café einen Kaffee mit einem Hunderter bezahlen. Aber nicht, weil ich einen auf Großkotz machen wollte, sondern weil ich einfach nur diesen einen Schein in der Tasche hatte. Da hat mich die Verkäuferin angefaucht und mir den Schein wieder übern Tresen geschmissen. Da dachte ich nur: Die hat sie doch nicht alle. Daraufhin habe ich ihr meine Kreditkarte an den Kopf geworfen. Ich war echt sauer (lacht).

Arnaud: Ein Jammer. Berlin ist anders (blickt lächelnd aus dem Fenster).

Es gibt hier aber auch nicht so schöne Ecken.

Arnaud: Ich weiß, ich weiß. Aber hier ist alles nicht ganz so hektisch und überfokussiert. Das gefällt mir.

Hier laufen einem aber auch nicht so viele Musiker in die Arme, die mal eben an größeren Kollaborationen interessiert sind, oder Richard?

Richard: Ja, das stimmt leider. Da hat man es in Amerika, oder generell im Ausland, schon leichter.

Ihr habt für euer neues Album jede Menge großkalibriger Gäste gewinnen können. Marilyn Manson, Jonathan Davis, Lemmy ... Klingt nach einer spaßigen Produktions-Phase.

Richard: Spaßig? Naja ... (lacht). So Leute erstmal ausfindig zu machen, ist manchmal schon anstrengend hoch zehn. Jonathan Davis beispielsweise, der hat nicht mal ein Telefon zuhause. Von einer Mail-Anschrift ganz zu schweigen. So eine nicht vorhandene Kontakt-Basis ist dann natürlich für jemanden wie mich, der gerne direkt mit den Leuten redet, der blanke Horror.

Ich wollte ihn aber unbedingt auf dem Album haben. Also habe ich versucht, über einen befreundeten Tourmanager an Jonathan ranzukommen. Das hat zum Glück auch geklappt. Er ließ dann ausrichten, dass Jonathan begeistert sei und sich melden würde. Dann kam aber erstmal lange Zeit nichts mehr. Irgendwann kontaktierte mich dann der Gitarrist von Korn, dass die ganze Sache nicht vergessen wurde. Es sei aber gerade viel los, blablabla ... Da war dann irgendwie Schluss bei mir. Ich dachte mir nur: Ey Leute, ich find euch echt cool, aber ich muss hier auch mal langsam Nägel mit Köpfen machen.

Ich hab den Song dann selber eingesungen und war eigentlich durch mit der Sache. Dann saß ich Wochen später im Studio beim Mixen, als sich plötzlich Jonathan meldet und meint, er könne jetzt loslegen. Also, alles wieder auf Anfang, der Song ging über den großen Teich und ich wartete. Als dann das Ergebnis zurückkam, war ich total happy. Es gab aber im Refrain eine hohe Note, die Jonathan nicht so richtig hinbekam. Was also tun? Er meinte, er könne nicht so hoch singen. Da hab ich mir den Hörer geschnappt und ihm Folgendes ins Ohr geflüstert: Pass auf, Jonathan. This is the German Way! Du nimmst jetzt deine beiden Hände, packst dir deine Eier und drückst so doll zu, bis du diesen verdammten Ton hinbekommst. Eine halbe Stunde später war der Song im Kasten (lacht).

Aua!

Richard: Tja (grinst).

Arnaud: Aber das liebe ich so an Richard. Er bleibt so lange am Ball, bis das Ergebnis stimmt (lacht).

Richard: Das muss ich aber auch. Emigrate funktioniert schließlich ein bisschen anders als Rammstein. Hier herrscht zwar auch eine gewisse Demokratie, wenn es um künstlerische Belange geht, aber am Ende bin ich es, der überall das finale Häkchen setzt.

Ist dir das wichtig?

Richard: Nun, ich denke, dass jedes Schiff seinen Kapitän braucht. Das bedeutet aber nicht, dass die anderen in irgendeiner Art und Weise unter mir arbeiten. Ich muss einfach was tun. Ich bin nicht der Typ, der einfach nur rumhängen kann. Ich muss machen, machen, machen. Da ist es dann natürlich von Vorteil, wenn ich währenddessen auch schnell Entscheidungen treffen kann. Abwarten ist einfach nicht mein Ding. Daher war diese Phase, in der ich mich um Gäste für das Album bemüht habe, auch alles andere als einfach für mich.

Das klingt nach einer spannenden Manson-Story.

Arnaud: Oh, der Marilyn (lacht). Ich meine, ich habe ihn nie persönlich kennengelernt, aber was mir von Richard zu Ohren kam, war schon heftig. Dieser Typ ist der Lord der Finsternis, oder Richard (lacht)?

Richard: Er ist definitiv keine Frohnatur. Aber er ist ein faszinierender Mensch. Als ich ihn vor zwei Jahren bei der Echo-Verleihung getroffen habe, fühlte ich mich sofort verbunden mit ihm. Dieser Typ hat einfach eine krasse Aura. Sowas gefällt mir und zieht mich irgendwie magisch an.

Hat der auch kein Telefon?

Richard: (Lacht) Doch, der hat eins. Dennoch hat sich auch die Arbeit mit ihm ziemlich lange hingezogen. Das lag vor allem daran, dass er wochenlang dachte, dass der Song, den ich ihm geschickt hatte, für sein Album wäre (lacht). Monate später bekam ich dann eine Version mit ihm zu hören ("Hypothetical"), die nichts, aber wirklich gar nichts mehr mit dem zu tun hatte, was ich mir für den Song eigentlich vorgestellt hatte. Wir telefonierten dann noch mal, und erst während dieses Gesprächs, wurde ihm klar, dass der Song für das Emigrate-Album bestimmt war. Glücklicherweise fand dann ein Umdenken statt, so dass wir letztlich eine Version präsentiert bekamen, die von vorne bis hinten passte.

Wie lief es denn mit Lemmy? Das muss doch geflutscht haben, oder? Ich meine, der Song "Rock City" ist ihm ja förmlich auf den Leib geschneidert.

Richard: Nun, der Song hatte zunächst ganz andere Vibes. Er war eher getragen, teils akustisch, eine ziemlich ruhige Nummer, mit der ich zunächst nur wenig anfangen konnte. Dieser Motörhead-Charakter kam erst zustande, als ich den Jungs den Song das erste Mal vorspielte und Mikko plötzlich diesen mörderischen Beat dazu spielte. Wir scherzten dann rum, dass das doch die ideale Nummer für einen Typen wie Lemmy wäre. Ich wusste aber, dass Lemmy zu der Zeit ziemlich krank war, daher machte ich mir nur wenig Hoffnung. Ich kontaktierte ihn aber trotzdem. Und kurze Zeit später kam der Track wieder zurück, inklusive Lemmys Gesang. Das passte wie die Faust aufs Auge. Ich glaube, so einen Typen wie Lemmy, den kann einfach nichts aufhalten. Der ist Rock'n'Roll pur. Der zieht die Dinge einfach durch, wenn sie ihm gefallen; egal, ob er krank ist.

Dann gibt es auf dem neuen Album auch noch einen Song mit Peaches zu hören. Da ging es während eures ersten Treffens mit ihr aber zunächst um ganz andere Dinge, wie mir zu Ohren kam. Stichwort: Rohkost, Fitness, etc.

Richard: Mit Peaches lief es extrem entspannt. Sie wohnt ja auch in Berlin, was den ganzen Kommunikationsprozess natürlich immens vereinfachte. Wir trafen uns einfach bei mir und plauderten erstmal knapp anderthalb Stunden über Säfte, veganes Essen und sonstigen musikfremden Kram. Ich glaube, sie wollte erstmal sicher gehen, dass wir auch in einer guten Verfassung sind, um mit ihr zu arbeiten (lacht). Das war auf jeden Fall ziemlich chillig. Irgendwann stand sie aber dann auf, guckte uns an und sagte: Ok, Jungs, dann lasst uns mal zur Tat schreiten. That's it. Eine tolle Frau mit viel Sex-Appeal und einer fantastischen Stimme. Hat Spaß gemacht.

Wie soll man diese Fülle an Kollaborationen jetzt eigentlich deuten? Planst du das in Zukunft noch auszuweiten? Oder war das eine einmalige Sache?

Richard: Nun, Emigrate ist für mich ein Projekt geworden, bei dem mittlerweile alles erlaubt ist. Das macht die ganze Sache auch so spannend für mich. Es gibt kaum Regeln. Wer dabei sein will, der soll sich melden. Jeder kann kommen und gehen. Diese Band soll vor allem eine Oase für experimentelle Gedanken und Strukturen sein. Ich will mich hier austoben und Dinge ausprobieren, die ich mit Rammstein nicht umsetzen kann. Dazu gehört auch das Arbeiten mit anderen Künstlern. Insofern denke ich, dass die aktuellen Kollaborationen sicherlich nicht die letzten gewesen sein werden.

Je intensiver an dem Projekt gearbeitet wird, desto größer wird natürlich auch das öffentliche Verlangen nach Live-Auftritten. Wie sieht's dahingehend aus?

Richard: Als ich Emigrate ins Leben rief, ging es mir in erster Linie um das Finden einer persönlichen Balance. Neben Rammstein fehlte mir immer ein gewisser musikalischer Ausgleich. Ich wollte nicht mehr nur der Typ sein, der sich allabendlich umgeben von Feuer und Raketen in eine primär visuelle Welt beamt. Ich bin ja in erster Linie Musiker. Also suchte ich nach einem Projekt, in dem es ausschließlich um die Musik geht.

Mit Emigrate habe ich genau diesen Gegenpol gefunden. Jetzt habe ich eine grandios funktionierende Live-Band auf der einen Seite und eine Band, mit der ich musikalisch perfekt verschmelze auf der anderen Seite. Alles passt. Also stellt sich für mich doch die Frage: Warum sollte ich diese Balance wieder gefährden? Ich spreche jetzt nur für mich, denn ich weiß, dass es viele Leute gibt, die sich über Emigrate-Konzerte riesig freuen würden. Mir persönlich ist das Risiko eines Balanceverlustes momentan aber noch zu groß. Ich meine, könnte ich mit Emigrate einfach auf die Bühne gehen, ohne dass die Leute Feuer und Spektakel erwarten würden? Ich habe da so meine Zweifel.

Arnaud, guckst du gerade ein bisschen traurig?

Arnaud: (Lacht) Naja, ich kann Richard schon verstehen. Dennoch müsste ich lügen, wenn ich sagen würde, dass ich keine große Lust verspüre, mit Emigrate auch live ordentlich Gas zu geben. Wir sind aber ein Kollektiv. Ganz egal, welche Entscheidungen getroffen werden: Am Ende müssen alle glücklich damit sein. Ich bin auf jeden Fall fest davon überzeugt, dass wir live jede Menge zu bieten hätten. Wir werden einfach sehen, was die Zukunft bringt. Ich bin definitiv bereit.

Richard: Ich weiß, ich weiß (grinst).