Metal Hammer 11/95 (interview)

From RammWiki

This interview was published in the German Metal Hammer magazine, issue 11/95.

Magazine cover

Original

So wortgewaltig sich RAMMSTEIN auf Ihrem Debüt HERZELEID präsentieren, so unwillig artikulieren sich deren Mitglieder außerhalb Ihrer Songs. MATTHIAS MINEUR mit dem Versuch, dem Phänomen auf die Schliche zu kommen.

In Berlin herrscht Ruhe vor dem Sturm, Rammstein schicken sich an, ihr erstes musikalisches Statement in diese Welt zu entlassen. Der HERZELEID-Sturm wird losbrechen, dessen sind sich Plattenfirma, Management und Medienvertreter einig. Nur die Newcomer selbst verharren noch in fast panischer Wortlosigkeit. Der Vergleich mit dem Kaninchen vor der Schlange drängt sich dem Betrachter förmlich auf. Rammsteins Furcht vor der Öffentlichkeit, verbunden mit der Frage: Werden wir gefressen, oder bekommen wir die Absolution erteilt? „Wir haben mit dem Business keine Erfahrung und suchen noch nach einem Konzept, wie wir uns verhalten sollen“, tönt es aus dem Halbdunkeln des Berliner "Blow Up"-Kinosaals, in dem Rammstein verkehrte Welt spielen. Die Band brav wie die Pfeifenorgeln aufgereiht in Sitzreihe sechs oder sieben, die Journaille dagegen mit Spotlight direkt vor laufendem Schwarzweiß-Film postiert. Rammstein wollen die Seiten vertauschen, wollen die Fragenden aus der Reserve locken, anstatt selber allzu viel von sich preisgeben zu müssen. „Ich finde Fragen grundsätzlich interessanter als Antworten, deswegen weigere ich mich auch prinzipiell zu antworten. Wenn's nach uns ginge, würden wir am liebsten gar nichts sagen, sondern unsere Musik für uns sprechen lassen.“ Philosophische Hausmannskost der Ostberliner Combo also, die dann jedoch schnell zum branchenübliche Pragmatismus zurückkehrt. „Aber wir geben unser Bestes, denn wir wollen ja nicht mehr fünf Jahre warten, bis die Leute zu uns kommen.“
Das, was hinter vorgehaltener Hand seit Monaten als musikalische Großtat, als ,next big thing‘ angekündigt ist, erfährt hier nun also seinen publizistischen Stapellauf. Rammstein haben ihr Debüt zur öffentlichen (Zer-)Reißprobe freigegeben. Noch sind sich die Beteiligten selber nicht ganz sicher, ob das, was sie persönlich als musikalische Offenbarung einschätzen, letztlich nicht als Rohrkrepierer bereits auf den ersten Metern schlapp macht. Die Geburtswehen waren lang und mühselig, die Niederkunft schließlich sogar schmerzhaft. Daran hat Produzent Jacob Hellner (u.a. Clawfinger) nichts ändern können. Mehr noch: Was im Stockholmer BomKrash-Studio mit ihm erarbeitet werden sollte, entpuppte sich als langwieriges Ziehen und Zerren um Soundvorstellungen, um musikalische Direktiven. Und benötigte schließlich einer Nachbesserung im Hamburger Chateau Du Pape-Studio. Gitarrist Richard Kruspe: „VVir haben in Schweden den Mix abgebrochen, weil uns das Ergebnis zu poppig wurde. Es fing gut an und endete damit, daß wir sehr unzufrieden waren. Hellner hatte eine andere Vision von Rammstein. Wir haben gesagt: ,Bis hier und nicht weiter‘. In Hamburg haben wir noch einmal von vorne angefangen, mit neuem Engineer und einer anderen Vorgehensweise, vor allem im Verhältnis der Gitarren zur Elektronik.“ Hellner hatte für eine spitzere, technischere Produktion votiert, hatte Sägegitarren als Vision und den Blick für die Tanzsäle der Republik. Die Musiker hingegen wollten das volle Brett, ein Soundgebaren, indem es rummst und kracht statt sägt und fisselt. Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich im Vorfeld hatte einigen können, war der Begriff ‚Tanzmetall‘. Hellner hörte die Betonung auf ,Tanz‘, Rammstein auf ‚Metall‘. Die sich nun auf HERZELEID offenbarende Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte, sieht das Brachialriff dominant und gleichzeitig die Tekkno-Seite nicht vollends negiert. Die Konsequenz aus den schwierigen Stockholmer Tagen ist - ganz Rammstein-typisch, trotzig und eigenwillig - die Rückbesinnung auf die eigenen Fähigkeiten. Der Fehler lag im System, behauptet Schlagzeuger Christoph Schneider und weiß auch bereits das Patentrezept, um die Mühen der vergangenen Monate nicht noch einmal durchleben zu müssen. „Wir werden beim nächsten Mal auf jeden Fall vorsichtiger bei der Wahl des Produzenten sein und nur einen Co-Producer hinzuziehen. Wir wissen selber am genauesten, was das Beste für uns ist und wie unsere Songs zu klingen haben. Wir werden so viele Sachen wie möglich alleine machen. Und vor allem so schnell wie möglich. Man kann gute Sachen durch Zeit zerstören. Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Nähe zu einem Song nicht mehr existiert und man sich abwendet. Wir haben im letzten Sommer die Vorproduktion gehabt, die war schon sehr lang und zermürbend. Dann mußten wir nach Schweden und wieder aufnehmen. Da war man schon nicht mehr so frisch, hafte schon nicht mehr das gleiche Gefühl für die Songs, das da ist, wenn ein Lied entsteht. Die Energie, die beim Songschreiben automatisch herrscht, muß später bei der Produktion mit viel Mühe künstlich wieder erzeugt werden. Man läuft der Sache irgendwie immer hinterher.“

Was die Musiker auf widrige Umstände schieben, auf nachlassende Frische und grundlegendes Unverständnis ihres Produzenten, liegt größtenteils in der komplizierten Struktur dieser sechsköpfigen Combo begründet. Die Musiker, allesamt auf Kreativfreiheit und Individualität pochend, haben den Perfektionismus zur Glaubenssache erklärt. Sie beißen sich an Nuancen fest, ringen um jeden verdammten Ton. Doch ihr größter Steh-Im-Weg ist gleichzeitig auch die größte Stärke der Band, quasi das Erfolgsrezept: Halbheiten sind tabu. Punkt.
Eine Taxifahrt durch die Berliner Innenstadt verdeutlicht den Status, den Rammstein schon vor Veröffentlichung in der zukünftigen Bundeshauptstadt haben. Man war schon lange vor Veröffentlichung des Debütalbums live präsent, hat die Clubs beackert und das Umland mit fulminantem Bühnengehabe belagert. Das Ergebnis prangt in Form klebender Liebesbezeugungen an etlichen Kofferraumklappen Berliner Autos. Allerdings identifizierten sich die Fans bereits mit der Berliner/Schweriner Formation, bevor es eigen lich etwas zum Identifizieren gab. Denn Rammstein war bis dato hauptsächlich ein One Night Stand-Gebilde, das man brüllend laut und siedend heiß in Clubs erleben durfte und das am nächsten Morgen schon wieder der Vergangenheit angehörte. Nun - mit Plattenvertrag und HERZELEID zu einer Art verfallsresistentem Zeitdokument geworden - werden andere Gesetze gelten. Das vor allem ist es, was die Band noch in Unsicherheit verharren läßt. Bis heute konnte man eigene Unzulänglichkeiten mit schlechter P.A., verkorkstem Monitorsound. kränkelnden Bandmitglieder oder unmotivierten Zuhörern entschuldigen. HERZELEID ist die unwiderrufliche Meßlatte, an dem sich die Öffentlichkeit nun reiben wird. Unbegründete Sorgen? Wohl schon, denn von ‚eindrucksvoll' oder ,imposant‘ zu fabulieren. würde dem Album nicht gerecht. HERZELEID gleicht einer tonalen Ex-plosion, ist packend und reißerisch zugleich. Die Mär vom brodelnd heißen Cross-over/Schwermetall mit seinen grabeskühlen deutschen Texten wird sich schnell herumsprechen. Vor allem der Ruf eines für teutonische Verhältnisse extravaganten Umgangs mit Aphorismen und Wortgebilden eilt den Rammsteins bereits seit langem voraus. ‚Liebeslieder' betiteln die sechs fast schüchtern ihre wortgewaltigen Botschaften, wohl ein Understatement an der Schwelle zur Realtität. „Natürlich, Liebeslieder in weitgefächerter Art“, konstatiert ihr ansonsten wortkarger Sänger Till Lindemann, „Liebeslieder in welcher dekadenten Weise auch immer. Es ist halt auch eine schrille Art von Liebe existent, und die paßt gut zu unserer Musik. Zu einem harten Riff oder einer schönen Melodie hast du immer ein bestimmtes Gefühl. Die Frage ist, was du als Liebe definierst, oder ob du auch in extreme Formen von Liebe vorstoßen kannst.“
Ein nekrophiler Liebesakt auf dem Friedhof ist also - legt man seinen Text von 'Heirate Mich' zugrunde - jene extreme Form der Zuneigung, in die ein zeitgemäßer Don Juan heutzutage vorzustoßen in der Lage sein muß. ,Mit meinen Händen grab ich tief zu finden, was ich so vermißt, ,(...) ich nehm dich zärtlich in den Arm, doch deine Haut reißt wie Papier‘ singt Lindemann gruftkühl und nähert sich mit derlei Visionen eher einem weltentrückten Zombie-Flair als irgendwelchen irdischen Gefühlsregungen. Aber auch das gehört irgendwie zur typischen Eigenwilligkeit Rammsteins, genauso wie die urplötzlich ins Französische übersetzen Texte im Booklet ihrer CD, ebenso wie die dort fehlenden Namen der Musiker oder reißerische Textzeilen à la ,Ihr wollt doch auch den Dolch ins Laken stecken, ihr wollt doch auch das das Blut vom Degen lecken. Sex ist eine Schlacht, Liebe ist Krieg‘ (,Wollt ihr das Bett in Flammen seh'n‘).

Deepl translation

As eloquent as RAMMSTEIN present themselves on their debut HERZELEID, as unwillingly do their members articulate themselves outside their songs. MATTHIAS MINEUR tries to get to the bottom of this phenomenon.

In Berlin there is calm before the storm, Rammstein are preparing to release their first musical statement into this world. The record company, management and media representatives all agree that the HERZELEID storm will break. Only the newcomers themselves still remain in almost panic speechlessness. The comparison with the rabbit in front of the snake literally forces itself on the viewer. Rammstein's fear of the public, combined with the question: will we be eaten, or will we be given absolution? "We have no experience with the business and are still looking for a concept of how to behave," it sounds from the semi-darkness of Berlin's "Blow Up" cinema hall, where Rammstein play verkehrte Welt. The band is lined up like pipe organs in row six or seven, while the journaille is positioned with spotlights directly in front of the running black-and-white film. Rammstein want to switch sides, want to lure the questioners out of their reserve instead of having to reveal too much about themselves. "I find questions fundamentally more interesting than answers, which is why I refuse to answer on principle. If it were up to us, we would prefer to say nothing at all, but let our music speak for us." Philosophical home cooking, then, from the East Berlin combo, which then quickly returns to the pragmatism customary in the industry. "But we do our best, because we don't want to wait five more years for people to come to us."
Home cooking, then, from the East Berlin combo, which then quickly returns to the industry-standard pragmatism. "But we do our best, because we don't want to wait five more years until people come to us."
What has been announced behind closed doors for months as a musical feat, as the 'next big thing', is now experiencing its publicistic launch. Rammstein have released their debut to the public (Zer-)Reißprobe. The people involved are still not quite sure whether what they personally consider to be a musical revelation will not ultimately fail as a pipe creperie on the first few meters. The birth pangs were long and arduous, the birth finally even painful. Producer Jacob Hellner (among others Clawfinger) could not change that. Even more: What was to be worked out with him in Stockholm's BomKrash studio turned out to be a protracted pulling and tugging around sound ideas, around musical directives. And finally needed a touch-up in Hamburg's Chateau Du Pape studio. Guitarist Richard Kruspe: "VVir stopped the mix in Sweden because the result became too poppy for us. It started well and ended up with us being very dissatisfied. Hellner had a different vision of Rammstein. We said: 'Until here and no further'. In Hamburg, we started all over again, with a new engineer and a different approach, especially in the relationship of the guitars to the electronics." Hellner had voted for a spikier, more technical production, had saw guitars as his vision and an eye for the dance halls of the Republic. The musicians, on the other hand, wanted the full board, a sound behavior in which it rumbles and crashes instead of saws and fissures. The lowest common denominator that could be agreed upon in advance was the term 'dance metal'. Hellner heard the emphasis on 'dance', Rammstein on 'metal'. The truth now revealed on HERZELEID is probably somewhere in the middle, sees the brachial riff dominant and at the same time the Tekkno side not fully negated. The consequence of the difficult Stockholm days is - quite Rammstein-typical, defiant and idiosyncratic - the return to their own abilities. The fault was in the system, claims drummer Christoph Schneider, and he also already knows the patent remedy for not having to relive the travails of the past months. "We will definitely be more careful next time when choosing a producer and only bring in a co-producer. We know ourselves best what is best for us and how our songs should sound. We will do as many things as possible on our own. And especially as fast as possible. You can destroy good things by time. At some point there comes a point where the closeness to a song doesn't exist anymore and you turn away. We had pre-production last summer, which was already very long and grueling. Then we had to go to Sweden and record again. By then you weren't as fresh, you didn't have the same feeling for the songs that's there when a song is created. The energy that is automatically there during songwriting has to be artificially recreated later during production with a lot of effort. You're always kind of running behind the thing."

What the musicians blame on adverse circumstances, on diminishing freshness and fundamental lack of understanding on the part of their producer, is largely due to the complicated structure of this six-piece combo. The musicians, all insisting on creative freedom and individuality, have declared perfectionism a matter of faith. They bite down on nuances, wrestling for every damn note. But their biggest stand-in is also the band's greatest strength, their recipe for success, so to speak: half-measures are taboo. Period.
A cab ride through downtown Berlin illustrates the status Rammstein have in the future German capital even before the release. They were already present live long before the release of the debut album, have plowed the clubs and besieged the surrounding countryside with fulminant stage behavior. The result is emblazoned on the trunk of many Berlin cars in the form of adhesive testimonials of love. However, the fans already identified with the Berlin/Swerin formation before there was actually anything to identify with. Because Rammstein was until then mainly a one-night-stand-formation, which one could experience roaring loud and boiling hot in clubs and which belonged to the past the next morning. Now - with a record deal and HERZELEID having become a kind of decay-resistant document of time - other laws will apply. That above all is what still leaves the band in uncertainty. Until today they could excuse their own shortcomings with bad P.A., messed up monitor sound, ailing band members or unmotivated listeners. HERZELEID is the irrevocable yardstick on which the public will now rub itself. Unfounded worries? Probably so, because to talk about 'impressive' or 'imposing' would not do justice to the album. HERZELEID resembles a tonal ex-plosion, is gripping and lurid at the same time. The fairy tale of the seething hot cross-over/heavy metal with its grave-cool German lyrics will soon get around. Above all, the reputation of an extravagant handling of aphorisms and word formations by Teutonic standards has long preceded the Rammsteins. The six almost shyly title their eloquent messages 'Liebeslieder', probably an understatement on the threshold of reality. "Of course, love songs in a broad way," states their otherwise taciturn singer Till Lindemann, "love songs in whatever decadent way. There is just also a shrill kind of love existing, and that fits well with our music. To a hard riff or a nice melody you always have a certain feeling. The question is what you define as love, or if you can also push into extreme forms of love."
A necrophilic act of love in the cemetery is thus - if one takes his text of 'Marry Me' as a basis - that extreme form of affection into which a contemporary Don Juan must be able to advance today. With my hands I dig deep to find what I miss so much, (...) I take you tenderly in my arms, but your skin tears like paper" Lindemann sings cryptically and approaches with such visions rather a worldly zombie flair than any earthly emotions. But this is also part of Rammstein's typical idiosyncrasy, just like the lyrics in the booklet of their CD, which are suddenly translated into French, just like the missing names of the musicians or lurid lyrics à la 'You also want to stick the dagger in the sheet, you also want to lick the blood from the sword. Sex is a battle, love is war' ('Wollt ihr das Bett in Flammen seh'n').