Netecho.info 2004 (interview)

From RammWiki

The interview was released on Netecho.info on 27 September 2004.

Original

»Rammstein klingt jetzt menschlicher« Von Christophe Ramjoie

Am heutigen Montag liegt das vierte Rammstein-Studioalbum in den Plattenläden. Es trägt den Titel »Reise Reise« und sorgte im Vorfeld schon mit einem umstrittenen Video für sehr viel Wirbel. Das Markenzeichen der Ostdeutschen sind schwere Gitarrenriffs, gemischt mit Technosounds.

Hinzu kommen expressive und kontroverse Texte. International ist Rammstein eine der erfolgreichsten deutschen Bands.

Das Grenz-Echo sprach in Brüssel mit Richard Kruspe- Bernstein, dem Gitarristen der Band, über das Phänomen Rammstein, die Kontroverse um die Band und das umstrittene Video zu »Mein Teil«.

Die Rammstein-Fans haben drei Jahre lang auf ein neues Album warten müssen. Was dürfen die Fans von Ihrer vierten Platte erwarten?

Erst einmal würde ich sagen, dass sie ein echtes Rammstein-Album bekommen. Ich glaube, dass wir es wieder geschafft haben, ein Album zu produzieren, das auf eine gewisse Art und Weise ein bisschen anders ist als die anderen Alben. Elf wirklich gute Songs! Sie bekommen einen Sänger, der diesmal wirklich gezeigt hat, dass er mehr hat als eine interessante Stimme. Er kann nämlich auch wunderbar singen. Ich glaube, das ist für mich jetzt der größte Unterschied im Vergleich zu den anderen Alben. Die Stimme hat sich extrem verbessert.

Der erste Eindruck beim Reinhören ist, dass Sie wieder eine Stufe härter geworden sind. Einverstanden?

Ich finde nicht, dass es härter klingt. Bei »Mutter« hatten wir einen Haufen Aggressionen zu verarbeiten, die wir jetzt bei »Reise Reise« überhaupt nicht dabei hatten. Für mich ist der größte Unterschied zu den letzten Platten, dass »Reise Reise« einfach ein bisschen menschlicher klingt. Es klingt nicht mehr so maschinenorientiert. Es geht in dem Song »Mein Teil« um die Kannibalenproblematik von unserem Freund Armin Meiwes, der ja bekanntlicherweise Teile eines anderen Menschen aufgefressen hat. Wir haben erst überlegt, die Sache eins zu eins umzusetzen. Irgendwie hat uns das aber nicht gefallen. Dann haben wir uns etwas anderes überlegt. Jedes Bandmitglied hatte dann Zeit, sich während zwei Stunden etwas zu überlegen. Da gab es dann eine Szene, in der unser Schlagzeuger die anderen Rammsteiner wie Hunde an der Leine durch Berlin führt. Das kam bei den Passanten irgendwie komisch an.

Für das Video von »Mein Teil« haben Sie wieder einmal mit Zoran Bihac zusammengearbeitet. Was macht den Reiz aus, gerade mit ihm die Clips abzudrehen?

Zoran ist ein extrem humorvoller Mensch. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir jahrelang ein wenig zu ernst waren und irgendwann haben wir gelernt, auch über uns selber zu lachen. Diese Art und Weise, über sich selber zu lachen, fängt er wunderbar auf. Es war bei dem Video nun das erste Mal, das wir etwas von uns freigegeben haben. Es war diesmal nicht so, dass wir eine Rolle gespielt haben, sondern wir haben uns selber gespielt. Ich glaube, dass wir mit ihm da auch jemanden gefunden haben, der das auf eine humorvolle Art umsetzen konnte.

Das Album wurde von Jacob Hefner produziert. Es ist bereits das vierte Mal, dass er Sie produzieren darf. Was unterscheidet ihn von den anderen?

Es war ganz wichtig, ihn zu haben, denn es gab einige Unsicherheiten in der Band. Er ist so eine stabile Figur, um Dinge zusammenzuhalten. Er ist eine Art Vaterfigur. Für mich ist es einer der besten Produzenten, die es überhaupt gibt. Er schafft es immer wieder, neue Sachen aus jedem einzelnen rauszuholen. Er hat ein sehr tiefes Ohr.

Bei dem Song »Amerika« scheinen Sie auch ein wenig politische Motivation an den Tag zu legen.

(fällt ins Wort) Nein, ich glaube nicht, dass wenn man eine gewisse Ironie hat oder ironisch-kritisch ist, man dann gleich politisch motiviert ist. »Amerika« ist im Grunde genommen gar nicht politisch. Wir haben versucht, das Thema Amerika auf eine ironische Art und Weise zu verarbeiten. Das ist ungefähr so: Wenn du eine Riesentorte vor dir hast, schmeckt ein Stückchen richtig gut. Wenn du die ganze Torte isst, musst du einfach kotzen. Manchmal hat man das Gefühl auch bei Amerika, die scheinen überall zu sein und das ist einfach zuviel.

Ihr scheint ja eine Schwäche für Himmelskörper zu haben. Nach Sonne folgt auf der neuen Scheibe mit »Morgenstern« erneut ein Song, der einen Himmelskörper beinhaltet. Woher kommt dieses Faible?

Das ist eine gute Frage. Es gibt gerade in der deutschen Sprache gewisse Worte, die eine bestimmte Kraft haben und einfach klingen. Du suchst als jemand, der Lyrik schreibt, einfach nach Worten, die gut klingen. Sonne und Morgenstern klingen einfach gut und deshalb haben wir sie auch benutzt. Ich persönlich glaube jetzt nicht, dass wir eine Affinität zur Astronomie haben, mehr zur Astrologie vielleicht.

Der Song wurde ja auch von den Pet Shop Boys remixt. Wieso haben Sie gerade die Pet Shop Boys ausgesucht? Das scheint ja nicht wirklich zu passen, oder?

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass dies eine Idee der Plattenfirma war. Ich bin kein großer Fan von Remixen im Allgemeinen und daher sag ich da lieber nichts zu.

Es ist ja hinlänglich bekannt, dass die Bandmitglieder ursprünglich aus unterschiedlichen Genres kommen. Gibt es bei Ihnen eigentlich Ambitionen, wieder in die unterschiedlichen Musikrichtungen zurückzukehren. Oder sagen Sie sich eher: Rammstein bis zum bitteren Ende?

Es ist, glaube ich, sehr wichtig, dass jeder sich auf seine Art und Weise in anderen Gebieten ausprobiert. Wenn jemand Ambitionen hat, andere Dinge zu tun, dann sollte er diese tun. Das kann der Band auch langfristig sehr gut tun.

Rammstein gibt es jetzt seit zehn Jahren. Wohin soll die Reise noch gehen?

Wohin soll es noch gehen? Es kann meinetwegen wieder von vorne beginnen. Für mich ist wichtig, dass man zusammenhält. Vor allen Dingen in diesen Zeiten. Die Musikindustrie hat sich sehr verändert. Ich sehe die Sache so: Du hast irgendwann erkannt, dass dir jemand eine Art Talent gegeben hat. Dann hast du das Gefühl, zu wissen, was du tust. Dem musst du auch dienen in einem gewissen Sinne. Da gibt es keine Frage, was du tun willst, man macht es einfach. Wir versuchen, gute Musik zu machen. Da ist es nicht so, dass wir noch irgendwo hin wollen. Klar gibt es noch Ziele, wie zum Beispiel einen Grammy gewinnen. Aber wir haben nicht solche Träume. Denn das Größte, was wir haben, ist, dass wir nach den Jahren immer noch zusammen sind. Es gibt nicht viele Bands, die nach so einer Zeit noch zusammen sind.

Kann man sich denn bei Rammstein irgendwann mal einen Kurswechsel vorstellen?

Rammstein ist immer dann gut, wenn wir auf eine bestimmte Art und Weise offen sind. Das waren wir immer. Deswegen ist Rammstein Rammstein. Aber es gibt jetzt keinen speziellen Plan, den Weg zu ändern.

Stört Sie das eigentlich, dass viele Fans in Amerika oder generell im Ausland die Texte mitsingen, ohne zu wissen, was Sie singen?

Es ist eigentlich der Fan, den dieser Fakt stören sollte. Dem entgeht natürlich eine ganze Menge. Ich glaube, dass Till jemand ist, der wirklich wunderschöne Sachen schreibt. Er ist einer der wenigen, der es schafft, mit der deutschen Sprache zu arbeiten und auf die Art und Weise zu formulieren, die man auch musikalisch vertonen kann.

Sie haben auf dem Album mehr Chorgesang. Werden Sie den Chor mit auf Tour nehmen?

Der Chorgesang bringt dieses Menschliche, von dem ich eben gesprochen habe. Wer Rammstein kennt, der weiß, dass wir sicherlich wieder etwas ganz Spezielles bieten werden.