Udiscover 2019/11 Lindemann (interview)

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The interview was released on 13 November 2019, on the website of uDiscover Music.

Original

Kracher zum Jahresende: Till Lindemann und Peter Tägtgren haben doch tatsächlich ein weiteres Lindemann-Album fertiggestellt! Unter dem Titel F & M lassen der Rammstein-Sänger und Schwedens Metal-Aushängeschild (Hypocrisy, Pain) in der kurzen Rammstein-Feuerpause mal so richtig die Sau raus und beackern ein herrlich weites Feld zwischen Industrial Metal, Rock, düsterem Kammerspiel, monumentalen Soundtrack-Zitaten, Elektro und Pop. Alles kann, nichts muss – dieses Credo nahmen sich die beiden Freunde mehr zu Herzen denn je. Beim Interviewtermin im mondänen Soho House in Berlin erteilten die beiden Auskunft über ihre jüngsten Schandtaten.

Der Startpunkt dieses zweiten Lindemann-Albums war eure Auftragsarbeit für das Hamburger Thalia Theater. Ist es etwas anderes, Musik für ein Theaterstück zu schreiben als für ein normales Album?
Till Lindemann: Klar! Die beiden Regisseure arbeiteten an einer modernen Version von „Hänsel und Gretel“ und hatten uns dafür sehr klare Anweisungen für unseren Part mit auf den Weg gegeben. Ein Stück sollte zum Beispiel die Verwandtschaft zwischen Eltern und Kindern thematisieren – vor dem bekannten Hintergrund, dass die Eltern ihre Kinder im Wald aussetzen. Ein anderer Song sollte ein Schlaflied sein…
Peter Tägtgren: … was für mich alles andere als einfach war! Ich bin ein Metal-Dude, ich habe mein ganzes Leben noch keine Ballade geschrieben! Das war sehr knifflig, aber auch eine wirklich spannende neue Situation.

Till, hast du dich dennoch von denselben Dingen inspirieren lassen wie bei deiner Arbeit mit Rammstein?
TL: Mich inspirieren stets Dinge, die um mich herum passieren. Auch Sachen, die in der Vergangenheit liegen. Wenn ich, wie hier, den Auftrag bekomme, ein Stück über arme Kinder zu schreiben, die von ihren Eltern im Wald zurückgelassen werden, dann bringe ich mich, meine Persönlichkeit und meine Erfahrungen in den Text mit ein. Diese Grausamkeit, das Morbide in einen Text zu fassen, hat mich mitgenommen. Die dunklen Stücke, die wir für das Theaterstück geschrieben haben, haben als Versuch eines Ausgleichs wahrscheinlich diesen irrsinnigen Jahrmarkt verursacht, den wir mit den anderen Songs entfesseln.

Grenzen gibt es in eurer gemeinsamen Welt also keine?
PT: Lindemann ist ein Ventil. Ein Katalysator, der es uns ermöglicht, Dampf abzulassen. Es gibt Dinge, die kann ich nicht mit Pain oder Hypocrisy tun – und Till auch nicht mit Rammstein. Deshalb sind wir hier. Wir haben viele Ideen in uns, die müssen einfach raus. Auf einem Lindemann-Album ist nichts illegal. Deshalb ist F & M auch so schizophren geworden.

Peter, Till singt auf eurem neuen Album erstmals auf Deutsch. Verstehst du überhaupt, was er da so von sich gibt?
PT: (stöhnt) Mein Deutsch ist so armselig wie eh und je. Aber natürlich erklärt Till mir bei jedem Text sehr genau, was er damit sagen will und worum es ihm geht. Das ist wichtig für die Musik, noch wichtiger ist aber die Art und Weise, wie er etwas sagt, betont oder ausspricht. Darauf konzentriere ich mich, wenn ich schreibe. Die Haltung ist das, was zählt. Singt er etwas traurig oder zornig oder glücklich?

Wieso war das erste Album eigentlich überhaupt auf Englisch?
TL: Bei unserem ersten Album wollten wir auf jeden Fall vermeiden, dass man Lindemann von Tag eins an mit Rammstein in einen Topf wirft. Wir haben bewusst versucht, uns hier abzugrenzen.

War es denn immer klar, dass es ein zweites Lindemann-Album geben wird?
PT: Nein, überhaupt nicht! Wir wussten vor dem ersten Album nicht einmal, dass es ein erstes Album geben würde. Ebenso wenig wussten wir nach dem ersten, ob es jemals ein zweites geben würde. Dinge sind einfach passiert.

Das ist doch auch mal erfrischend, oder?
PT: Mehr als das! Wir denken gern, dass es Schicksal ist.

Diese künstlerische Freiheit scheint euch beiden sehr lieb und teuer zu sein.
PT: Wir tun das hier nicht für die Kohle! Wir tun es, weil es uns Spaß macht. Wir haben deswegen auch niemandem erzählt, dass wir überhaupt ein Album aufnehmen. Wir wollten in Ruhe gelassen werden – sobald die Leute Bescheid wissen, will jeder mitreden.
TL: Nur so können wir wirklich durchdrehen. Auf dem Album gibt es einen Tango, einen Rap-Song, etwas sehr Opernhaftes, eine Ballade… mein Horizont hat sich durch das Projekt mit Peter auf jeden Fall erweitert.

Das Artwork mit dem bizarren Zusammenspiel verschiedenster Körper und euren verstörenden Masken ist erneut wegweisend und atemberaubend. Lindemann ist also nicht nur Musik?
PT: Wir wollen eine Welt erschaffen. Wir möchten den Menschen mehr geben als nur ein paar Songs. Deswegen haben wir auch wieder mit Heilemania zusammengearbeitet.
TL: Bei Artworks oder Videos muss man die Leute sofort zu fassen kriegen. So viel Zeug ist durchschnittlich, da denkt man kein zweites Mal drüber nach.