Unter Strom (interview)

From RammWiki

This interview was published in issue 6/97 of the German Break Out magazine. It was released in August 1997.

Original

Harte Riffs, wohlüberlegte Samples und einen markanten Gesang mit provozierenden Texten. So heißt das einfache, aber überaus erfolgreiche Rezept der Berliner Band Rammstein. Sechs Musiker versetzen eine ganze Nation in zwiespältige Gefühlswallungen. Zwei Jahre nach ihrem Debut "Herzeleid" und unzähligen Tourneen durch deutsche Lande, sowie dem angrenzenden Ausland hat die Band sich in die oberste Liga der deutschsprachigen Bands gespielt. Und stehen sie den Verkaufszahlen der musizierenden Mitbererber wie den Ärzten, den toten Hosen oder den Böhsen Onkelz in nichts mehr nach.

Die Verbreitung boomt, nachdem nun auch die "großen" Medienträger sich dem harten Thema annehmen: Zu nennen wären sowohl TV - kaum ein Tag im deutschen Fernsehen vergeht, ohne dass eine politische Sendung oder ein Sportereignis mit einem markanten Rammstein-Stück unterlegt wird - als auch die größten Teenie-Zeitschriften - mit dem fast wöchentlichen Erscheinen eines Zweiseiters über das Phänomen!

Ende August ist es nun soweit, und Rammstein werden mit ihrem zweiten Longplayer die Erfolgsstory des Erstlings fortsetzen. Den Anfang hat man bereits mit der Auskopplung "Engel" gemacht und über 250,000 an die immer noch wachsende Fanschar gebracht. Mit der Nachfolge-Single "Du hast" und einem überaus gewaltigen Videoclip wird nun die zweite Weiche gestellt. Bis dann die neue CD veröffentlicht ist, werden die restlichen Songs wie "Bück dich", "Bestrafe mich", "Tier" oder der potentielle Hit "Spiel mit mir" den Rest besorgen, um dem Erstling in nichts nachzustehen.

Während bei "HerzeIeid" die harte Gitarrenarbeit den prägnanten Mittelpunkt der Musik von Rammstein bildete, ist bei "Sehnsucht" zu bemerken, dass viel mehr mit Samples und Keyboard-Effekten gearbeitet wurde.
"Das ist auch gut so". meint Tastenakrobat Flake, "dadurch ist die Musik auch nicht mehr so anstrengrend. Wenn man so fünf, sechs Titel mit harten Gitarren hintereinander hört, nervt es schon ein bisschen - wenn es so wie jetzt ist, hört es sich schon wesentlich besser an."

War das eine Grundidee zur neuen Platte, und seid ihr bewusst daran gegangen, die Musik zu entschärfen?
"Wir wollten die Platte nicht so anstrengend machen und auch nicht so nervig."

Dieses Nervende hat euch doch aber den Erfolg gebracht?
"Nicht nur das Nervende hat den Erfolg gebracht, man muss immer versuchen die Waage zu halten."
"Es gibt selten Gitarrenplatten, die man von Anfang bis zum Ende durchhört", wirft Basser Olli ein.

"Irgendwann ist man dann abgetörnt und macht sie aus, weil man von den Gitarren so genervt ist. Eine Gitarre ist auch dann gut zu hören bzw. hochzuziehen, wenn die Elektrik zu hören ist oder das Schlagzeug nicht so anstrengend programmiert ist. Und das haben wir eben nicht gemacht."

Mit der Auskopplung "Engel" stellte sich der große Erfolg ein. Höchste Chartsplatzierung mit Platz 3 in den deutschen Singlecharts sowie mit "Herzeleid" ein mehr als achtbarer Platz in den Top Ten. Wie geht man damit um, plötzlich auch als Teenie-Band gehandelt zu werden?
Flake dazu: "Sagen wir mal so. das stört uns nicht sonderlich" und Olli meint:
"Wir haben uns gefreut, weil es absurd ist. Die Absurdität war das Ausschlaggebende dabei. Mittlerweile ist es aber auch schon ein bißchen anstrengend, wenn die Bravo jedesmal kommt und ein Poster von uns machen will. Das stört uns dann auch schon ganz schön. Wenn wir schon in der Teenie-Presse erscheinen sollen, dann soll dies auf Rammstein-Art sein und nicht so, wie sich das andere vorstellen. Hast du das Poster in der Bravo von uns gesehen? Wir sehen darauf nicht so aus, wie wir uns das vorstellen."

Auch das Thema Videoclıp ist ein wichtiges Instrument für Rammstein.. Leider werden diese Dinger aber nur berücksichtigt, wenn eine dementsprechende Chartsplatzierung vorliegt oder diese von den Musiksendern gesondert gefeatured werden. So geschehen auch mit dem "Engel"-Videoclip.
Flake etwas zornig: "Das "Engel"-Video wurde von allen TV-Stationen abgelehnt, bis die Charplatzierung da war. Also genau anders herum wie gedacht. Eigentlich ist ein Clip zum Promoten der Auskopplung da. Mir persönlich gefällt der "Rammstein"-Clip am besten - Livesequenzen von der Band, zusamrnengeschnitten mit Bildern aus "Lost Highway"."
Olli, etwas überdrüssig von diesem Thema: "Im Prinzip ist es auch egal welche Videos man dreht, die werden sowieso nie gesendet - es sei denn, einen Titel wie "Engel" kann man platzieren."

Das gleiche Problem wird sich auch jetzt wieder stellen, wenn der neue Clip zu "Du hast" angeboten wird.
Flake über den neuen Clip: "Bei "Du hast" ist etwas mehr Gewalt im Spiel, und aus diesem Grund werden sie diesen Clip sowieso nicht vor dem Abendbrot spielen."

Neben den Printmedien legen auch immer mehr die Musiksender wert auf die Berichterstattung von Rammstein. Dennoch gibt es genügend kritische Zeitgenossen wie Mola von Viva oder Bernd Ratjen von MTV, die mit dem Phänomen Rammstein nicht umzugehen wissen.
"Ich finde kritische Moderatoren prinzipiell gut, aber wenn wir zu stark politisiert werden, ist es nicht die Aufgabe eines Musikmoderators, dann macht er seinen Job auch nicht gut, schon gar nicht, wenn er uns nicht kennt. Er kann uns ruhig scheiße finden, aber soll uns nicht in irgendeine deutsche Schublade stecken."
Und Flake führt fort: "Neulich wurde im Spiegel oder Stern ein Artikel über uns mit der Aussage 'Rammstein, die netten Onkelz' aufgemacht. Das finde ich beleidigend und geht unter die Gürtellinie. Man kann ja mal mit Bernd Ratjen reden, was in solchen Fällen passiert!"

Bernd Ratjen ist verantwortlicher Redakteur von MTV Deutschland und boykottiert die Band am laufenden Band. Beim diesjährigen Open Air-Festival in Scheeßel, welches von MTV präsentiert wurde, spielten Rammstein als Headliner. So kam es dann auch im Pressezelt zum Aufeinandertreffen von Ratjen und Rammstein. Man fesselte Ratjen kurzerhand an einen Stuhl und steckte ihm noch eine rote Rauchbombe zu. Der gute Mann wurde so zum Gespött der Leute - zumindest bei denen, wo er es nicht schon war - und Rammstein hatten den Anwesenden gezeigt, wir verfahren wird, wenn keine faire Behandlung stattfindet.

Zu dem Erfolg von Rammstein hat aber auch Gitarrist Richard eine plausible Erklärung parat: "Der Erfolg, den wir jetzt haben, dass die Fans diejenigen waren, die die Single "Engel" gekauft haben - und somit plötzlich auch die Radiostationen, die uns nach wie vor boykottiert haben, bei einem Platz zwölf nicht mehr nein sagen konnten. Schließlich sind wir von null auf Platz zwölf von den Fans gewählt worden, und dadurch, dass danach das Domino-Prinzip einsetzte, mussten Radiosender oder auch Viva uns nun spielen. Den Erfolg selbst merken wir am allermeisten nicht an uns selbst, sondern an anderen Leuten, die plötzlich ganz anders mit dir umgehen. Es ist schon interessant zu beobachten, wie sich andere Menschen - egal ob Plattenfirma, Journalisten oder auch Fans - verändern."

Beziehst du dies mehr auf ein Hofieren oder ein Akzeptieren?
"Du bist auf einmal ein Star für die, auf einmal stimmt es für die!"

Dennoch sieht Richard die Sache auch sehr realistisch: "Man sollte das aber auch gar nicht so wichtig nehmen. Man sollte bedenken, dass es auch ganz schnell wieder vorbei sein kann. Dennoch freut es mich natürlich, dass ein etwas untypischer Rammstein-Song wie "Engel" eine so hohe Chartsplatzierung erklommen hat."
"Es ist auch eine ganz untypische Entwicklung einer Band", äußert sich Schlagzeuger Schneider. "Für die Plattenfirmen oder die gesamte Musikbranche ist ein Thema nach einem Monat durch. Entweder ist es aufgegangen oder eben nicht."

Trotz all dieser Erfolge ist Rammstein noch eine Band zum Anfassen geblieben. Brav absolviert man seine Autogrammstunden und lässt sich auch auf einen Plausch mit den Fans ein. Man hilft sogar verzweifelten Kids, die vor einer ausverkauften Halle stehen, über die Gästeliste den Event nicht zu verpassen.

Mit dem stetig wachsenden Erfolg von Rammstein kommen auch immer mehr Kritiker auf die Platte, die behaupten, dass der Erfolg nur durch die Effekthascherei bei den Livekonzerten zustande kommt.
Richard zu dieser Problematik: "Die Band ist geteilt in zwei Fraktionen - die eine ist bestrebt, immer eine Show machen zu wollen, während der andere Teil das Showelement auf einem positionellen Grund so gering wie möglich zu halten versucht. An sich ist es aber so, dass die Band die Show schon mag. Schließlich haben wir angefangen und wollten Musik mit einer Show. Was aber nicht passieren darf ist, dass die Leute aus dem Konzert gehen und sagen "Ej, das war eine geile Show, aber wo war die Musik?". Aus diesem Grund gibt es Leute in der Band, die dafür sorgen, dass die Musik nicht zu kurz kommt. Allerdings wird das Feuer immer ein Bestandteil bleiben. Stell dir mal ein Pink Floyd-Konzert vor ganz ohne Effekte. Für mich ist es sehr wichtig, den Leuten Musikalität zu bieten mit einer guten Portion Effekt. 50% Musik und 50% Show, das gehört zusammen."

Bei diesen Aussagen kommt doch sehr der amerikanische Gedanke von Entertainment auf.
Dies weist Richard aber von sich: "Ich weiß nicht - wenn du Entertainment als amerikanisch betrachtest, mag das sein - für mich muss es Spaß sein."

Bleiben wir doch bei Amerika. Wie sieht denn die zukünftige Veröffentlichungspolitik der Band aus? Will man sich nicht einmal an den großen Bruder über den Atlantik heranwagen und eine Platte mal mit englischen Texten machen?
"Till hat schon mal probiert seine Texte in englisch zu singen, hat es aber schon wieder aufgegeben, da es nicht so gut klingt. Im Moment konzentrieren wir uns aber auf die Veröffentlichung von "Sehnsucht", wirft Flake ein. "Danach spielen wir unsere große Tour, und wenn wir diese beendet haben, nehmen wir Amerika in Angriff. Und ob man dort englisch singen muss, wird man noch sehen, ich bin schließlich auch früher zu Bob Dylan gegangen und hab kein Wort verstanden - und trotzdem war es total geil."
Olli ergänzend: "Egal wo wir bis jetzt im Ausland waren - ob Frankreich, Holland oder Schweden - waren die Resonanzen genauso wie hier in Deutschland. Geholfen dabei hat uns der Film und Soundtrack "Lost Highway" mit den beiden Stücken "Rammstein" und "Heirate mich". In Schweden war es besonders lustig, als die versucht haben, mit schwedischem Akzent mitzusingen."
Abschließend zu diesem Thema meint Flake: "Für mich ist Amerika ein großes Ziel, während Japan mir zu stressig ist."

Zurück in die inländischen Gefilde. Rammstein muss sich oft den Vorwurf gefallen lassen, zu klingen wie z.B. eine alt gediente Kapelle, Die Krupps.
Richard sehr gelassen: "Die Leute sehen Gitarren, sehen Elektronik, und das ist dann halt eins. Dabei gibt es ganz differenzierte Unterschiede."

Der wohl deutlichste Unterschied ist der, dass Rammstein deutsch singen, während Die Krupps englisch texten.
"Das kommt dazu, aber es gibt noch einen ganz anderen Grund. Wenn ich Die Krupps höre, fallen mit sofort drei oder vier Bands ein, die so ähnlich klingen - Frontline Assembly oder Ministry usw., also diese ganzen Industrialbands. Rammstein hat für mich vom Sound her gar nicht so viel mit Industrial zu tun. Rammstein klingt für mich ganz eigen. Das ist doch auch das Interessante daran. Ich würde Rammstein viel eher mit Kraftwerk vergleichen, von der Eigenheit her. Deshalb haben wir auch "Model" von Kraftwerk gecovert und mit einer eigenen Portion Härte versehen."

Im Herbst werden nun Rammstein ihre erste große Hallen-Tour durch Deutschland antreten.
Flake gibt bereitwillig Auskunft: "Wir werden 4,000er bis 5,000er Hallen spielen, eine teilweise neue Show vorstellen und versuchen, einen amerikanischen Support zu verpflichten. Vielleicht haben wir es dann in den USA etwas leichter. Was auch noch ein Wunsch von uns wäre, ist Clawfinger im Vorprogramm, aber definitiv sicher ist noch nichts. Wir hatten eine Zeitlang immer Metal-Bands als Support, aber das hat uns nicht so gut gefallen. Auf der letzten Tour hatten wir Eskimo & Egypt als Vorband, das war schon besser, aber das Optimale auch nicht."

Was geht in einer Band vor, die eine neue CD veröffentlicht, deren Vorgänger einen überdurchschnittlichen Erfolg verbuchte? Wie ist die Erwartungshaltung?
Olli hat eine recht gesunde Einstellung dazu: "Das ist natürlich alles spekulativ, aber wir schätzen schon, dass sich "Sehnsucht" genauso gut verkaufen wird wie auch "Herzeleid". Es wäre natürlich schön, wenn es so wäre. Das Problem dabei ist, wenn du irgendwelche Vorstellungen von irgendwelchen Verkaufszahlen hast, bist du auch verletzlich. Wenn du diese dann aber nicht erreicht, hast du auch wieder die schlechteren Kartem. Am besten, du gehst mit gar keinen Erwartungen an die Sache ran."
Flake bringt es auf den Nenner: "Am besten ist, man denkt gar nicht daran."