"Auf Müllplätzen fühle ich mich wohl" (interview)

From RammWiki

This interview was released online from Profil.at on 30 March 2015.

German original

Flake von Rammstein: "Auf Müllplätzen fühle ich mich wohl"

Tastenficker wurden in der DDR die Keyboarder genannt: Christian Lorenz alias Flake gehört als Keyboarder und Komiker der Band Rammstein zu den erfolgreichsten Künstlern Deutschlands. Nun hat er seine Lehr- und Wanderjahre aufgeschrieben. Mit profil sprach Flake über seine Kindheit und Jugend in der DDR, über die soeben erschienene Biografie "Der Tastenficker: An was ich mich so erinnern kann", Alkoholprobleme und warum er dem Sozialismus noch eine Chance geben würde.

In der Autobiografie, die Sie gerade veröffentlicht haben, erzählen Sie von Ihren Niederlagen im Ostberlin der 1970er- und 1980er Jahre. Ihr Weg war das konstruktive Scheitern?
Ich habe mich immer treiben gelassen. Da ich kein erklärtes Ziel vor Augen hatte, gab es für mich auch kein Scheitern. Ich fühle mich auch nicht als gescheitert. Ich wollte den Leuten mit meiner Biografie klar machen, dass es nicht sinnvoll ist, immer so strebsam zu sein.

Das Buch wirkt wie ein Schelmenroman. Haben Sie literarische Vorbilder?
Ich fand die Erinnerungen des britischen Radio-Moderators John Peel herzerwärmend. Allerdings starb er nach dem dritten Kapitel, das hat mich dazu bewogen, meine Biografie doch lieber schnell zu schreiben.

Mit Ihrer Biografie gehen Sie ziemlich schonungslos ins Gericht.
Die Idee war, allen Menschen Mut zu machen, die mir ähnlich sind. Gerade die Leute, die in der Jugend nicht ernst genommen werden, oder keinen richtigen Plan haben, haben es heute richtig schwer. Auf Unterstützung dürfen diese Menschen nicht hoffen. Ich will den Menschen sagen, dass sie sich entspannen können. Wenn sie glücklich sind, mit dem was sie machen, dann ist das auch gut so.

Ihr Buch ist auch ein Zeitgeschichte-Dokument über die DDR. Wollten Sie diese Erinnerung bewahren?
Auf jeden Fall. Aktuell gibt es ein Bild von der DDR, das geprägt wird von Leuten, die nie in der DDR waren, weil sie entweder noch zu jung waren, oder damals in Westdeutschland gelebt haben. Jetzt werden Wahrheiten über dieses Land verkündet, die ich so gar nicht erlebt habe. Dieses Bild versuche ich, so gut ich kann in Ordnung zu rücken.

Was stört Sie an der aktuellen Geschichtsschreibung?
Mich stört dieses Bild vom Unrechtsstaat. Dass alle Menschen von einer Diktatur unterdrückt worden sind und dabei mundtot gemacht wurden. Mich stört auch diese Vorstellung, dass das Land angeblich wirtschaftlich völlig am Boden lag und Menschen regelrecht eingesperrt wurden. So war das wirklich nicht.

Letztes Jahr wurde der 25. Jahrestag des Mauerfalls gefeiert. Haben Sie wehmütig zurückgeblickt?
Ich habe es nicht als Feiertag empfunden. Ich bin aber Realist genug, um einer Sache nicht unnötig nachzutrauern. Ich habe mich mehr gewundert, dass der Mauerfall wirklich schon 25 Jahre zurückliegt. Meine Erinnerungen an die DDR sind noch ganz frisch und lebendig.

Ist Ihnen mit dem Ende der DDR ein Stück Identität verloren gegangen?
Es wurde ja nach der Wende krampfhaft versucht, alles was an den Osten erinnert, verschwinden zu lassen. So wurde völlig grundlos der Palast der Republik abgerissen, alle Denkmäler und Gebäude, die etwas mit der DDR zu tun hatten, wurden blitzschnell vernichtet. Die Erinnerung an dieses Land sollte möglichst schnell ausgelöscht werden. Das spüre ich, und das stört mich auch sehr.

Haben Sie deshalb den Prenzlauer Berg nie verlassen?
Der Ort und das System haben ja wenig miteinander zu tun. Für mich gab es bisher keinen Grund von hier wegzuziehen. Wo sollte ich hingehen? Es gibt auch keinen Ort, der mir besser gefällt.

Sie schreiben, der Kapitalismus funktioniere nicht. Ihre ideale Staatsform bleibt der Sozialismus?
Ich persönlich finde den Sozialismus, wie er in der DDR gelebt wurde, vom Grunde her völlig gut und richtig. Es war wohl schwierig, ihn bei den Menschen durchzusetzen. Aber ich würde es gerne noch mal probieren.

Laufen Sie als Keyboarder bei Rammstein, einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Bands aller Zeiten, nicht Gefahr, dieser mit Ihrer Offenheit zu schaden?
Ich habe nichts zu verlieren. Ich will die Menschen etwa vor den Gefahren des Alkohols warnen – und das geht nur, wenn ich aus meinem Leben erzähle. Die Ehrlichkeit ist mein Mittel.

War Ihr Alkoholismus eine Realitätsflucht?
So lustig das vielleicht klingen mag: ich habe mich aus Freude und Abenteuerlust betrunken. Man kam mit lustigen Leuten zusammen, ging zu Konzerten und war ständig am Trinken. Aus Frust oder einem Gefühl der Enge habe ich mich nie betrunken. Außerdem war es in der DDR selbstverständlich, Alkohol zu trinken. In jedem Büro stand Schnaps, die Lehrerzimmer der Schulen waren verqualmt und mit Alkohol gebunkert. Auch dass die Lehrer schon um 12 Uhr mittags ihren Schnaps getrunken haben, war völlig normal und akzeptiert. Ich bin in einer alkoholgeprägten Welt aufgewachsen. Alkohol wurde wie Kaffee getrunken.

Sie stehen unterschiedlichsten musikalischen Genres offen gegenüber. In Ihrer Biografie deklarieren Sie sich als Blues-Fan und haben vor Rammstein auch in diversen Ost-Punk-Bands wie Feeling B gespielt. Was ist Ihnen wichtig an der Musik?
Die Musik muss einen berühren. Und das geht nur, wenn die Musik von Herzen kommt. Die Kunst ist, Musik nur der Musik willens zu machen. Wenn man von vornherein nur an einen kommerziellen Erfolg denkt, wird es nicht klappen. Auch Rammstein macht Musik, die von Herzen kommt – und eben auch genau so klingt, wie wir uns das vorstellen.

Sie schreiben, als Blues-Fan hätten Sie vor allem die erzählten Arbeiterbiografien interessiert. Wie arbeiten Sie selbst?
Als Person bin ich unbeschreiblich faul. Folglich mache ich das, was gemacht werden muss, besonders schnell und effektiv. Auch mein Buch ist so entstanden. Das Schreiben war nicht das Schwierige, die eigentliche Aufgabe lag darin, mir gewisse Erinnerungen wieder ins Gedächtnis zu holen und zu ordnen.

Sie suchen auf Ihren Tourneen mit Rammstein gerne sonderbare Orte auf. Den Geburtsort von Neil Young zum Beispiel, oder auch Schrottplätze. Suchen Sie nach etwas bestimmten?
In diesen Orten liegt eine absolute Schönheit – aber auch ein großer Frieden. Gerade auf Müllplätzen fühle ich mich wohl. Ob diese Orte etwas Mystisches haben, kann ich nicht sagen. Öffentliche Sehenswürdigkeiten und Touristen-Plätze sind für mich todlangweilig.

Rammstein erwähnen Sie in Ihrer Biografie kaum. Warum nicht?
Ich wollte ja auch eine Biografie über die Band schreiben. Ich habe mich nur mit den anderen Mitgliedern noch nicht geeinigt, wie viel Mitspracherecht sie bekommen sollen. Uns allen kann man es kaum recht machen. Deshalb habe ich meine eigene Geschichte mal vorgezogen. Irgendwann schreibe ich aber auch ein Buch über Rammstein.

English translation

Flake from Rammstein: "I feel good on garbage dumps"

Keyboards in the old GDR were called "Tastenficker": Christian Lorenz alias Flake is one of the most successful artists in Germany, because he is keyboarder and comedian in the band Rammstein. Now he wrote his biography. With profil Flake talked about his childhood and youth in the GDR about his released biography "Der Tastenficker: An was ich mich so erinnern kann", alcoholism and why he would give socialism a second chance.

In your now released autobiography you write about defeats in East Berlin in the '70s and '80s. Your way was a constructive failure?
I've always let myself float. Because I never had a real goal, there was no failure for me. I don't even feel failed. I wanted to make people sure that it is not always good to be industrious.

The books feels like a rogue's roman. Do you have literary role models?
I found the memories of British radio host John Peel heartwarming. But he died after the third chapter. That's why I decided to better write my biography as soon as possible.

You're really hard on your biography.
The idea was to bolster people who are like me. Especially people who were not taken seriously in their youth or never had a real plan are having difficult times now. These people can't count on support. I want to tell these people, that they can slow down. When they're lucky with what they do, it's good.

Your book is also a document about the GDR. Did you want to keep these memories?
Of course. Right now there is a picture of the GDR by people, who never were in the GDR, because they were either too young, or they lived in West Germany back then. Not truth is told about that country, that I didn't experience that way. I try to correct that picture as good as I can.

What bothers you about the current historiography?
What bothers me is that picture of the Unrechtsstaat. That all people were held down by a dictatorship and were silenced. It bothers me to think, that this country was supposedly totally broke and that people were locked away. It really wasn't like that.

Last year was the 25th anniversary of taking down the Berlin wall. Did you look back wistfully?
I didn't think it was an anniversary. I'm realistic enough to not cry unnecessarily about something. I was more wondered that it already happened 25 years ago. My memories about the GDR are still fresh and alive.

Did you lose a bit of your identity when the GDR ended?
People tried hard to eliminate everything that reminded them of the east after it ended. That's why, completely unnecessary, the Palast der Republik was demolished. All monuments and buildings that had something to do with the GDR, were as fast as possible eliminated. The memory of that country was supposed to die. I feel that, and it really bothers me.

Is that why you never left Prenzlauer Berg?
The place and the system don't have much to do with each other. For me there was no reason to move away from here. Where should I go? There isn't even a place that I like better.

You write that capitalism doesn't work. Your ideal polity is still the socialism?
I personally think that socialism, as it was lived in the GDR, is perfectly good and correct in its core. It was hard to get it to the people. But I would try again.

Don't you think you harm Rammstein, one of the most successful German-talking bands of all time, with your open minded-ness?
I've got nothing to lose. I want to warn people of the danger of alcohol - and that only works when I tell something from my life. Honesty is my medium.

Was your alcoholism a flee from reality?
As funny as it may sound: I drunk because of happiness and adventurousness. You got to hang out with funny people, went to concerts and you were always drinking. I never drunk because of sadness or a feeling of closeness. In addition it was totally normal to drink alcohol in the GDR. There was Schnaps in every office, the teacher's rooms were full of smoke and alcohol. Even that teachers drank their alcohol at 12 am was normal and accepted. I've grown up in a world of alcohol. Alcohol was drunk like coffee.

You like different musical genres. You declare yourself as a blues fan in your biography. You also played in punk bands like Feeling B before you joined Rammstein. What is important to you about music?
Music has to touch you. And that only works when the music comes from the heart. The art is to make music because the music wants it. When you think about commercial success in the beginning, it won't happen. Even Rammstein makes music from the heart - and it sounds the way we want it to sound.

You write, as a blues fan, you were interested in the workers' biographies. How do you work?
As a person I'm totally lazy. Because of that I do what I have to fast and effectively. Even my book was written that way. Writing wasn't that hard, the challenge was to get out some memories and sort them.

When you're on tour with Rammstein you like to go to special places. Like the birthplace of Neil Young or garbage dumps. Are you searching for something?
These places have some kind of special beauty - but also peace. I really like garbage dumps. If these places have something mystical, I don't know. Sights and tourist places are boring to me.

You barely talk about Rammstein in your biography. Why?
I also wanted to write a biography about the band. We just didn't come to a conclusion of how much the other band members are allowed to interrupt my work. We can't find a suitable solution for us all. That's why I wrote my book first. But someday I will write a book about Rammstein.