Flake liest aus Autobiografie in Jena (interview)

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This interview was released on otz.de on 26 March 2015.

Original

"Tastenficker" wurden im Osten die Keyboarder genannt. Flake, Keyboarder von Rammstein, hat seine Autobiografie "Der Tastenficker" genannt. Darin erinnert er sich etwa an seine Haft in Saalfeld. Ein Gespräch.

Jena. Zum ersten Mal seit 20 Jahren machen Rammstein eine längere Tourpause. Was mache ich jetzt mit all der Zeit, fragte sich Keyboarder Flake. Gitarrist Paul Landers riet ihm: "Schreib doch ein Buch." Und das hat Flake getan. Morgen präsentiert er dieses in der Thalia-Unibuchhandlung in Jena (ausverkauft).
In seiner nonchalanten, selbstironischen Autobiografie zeichnet Flake alias Christian Lorenz seinen Weg vom spillrigen Streberkind zum Keyboarder der weltweit bekannten Band nach. Dabei finden sich neben zahlreichen "Feeling B"- und "Rammstein"-Anekdoten auch berührende selbstkritische Passagen, in denen es um Alkoholmissbrauch und soziale Unzulänglichkeiten geht.

Flake, woher kommt dieser Spitzname?
Eigentlich weiß ich das auch nicht mehr so genau. Es gibt unterschiedliche Annahmen. Zum einen war ich mal im Ferienlager und wurde angesprochen mit „Hey, Du Flake“. Ich wusste damals gar nicht, was das heißen soll. Später dachte ich, das kommt aus „Wickie und die starken Männer“, da heißt auch einer Flake. Und dann gibt es ja bei Berlin den Flakensee und es ist ja üblich, dass Menschen nach Landstrichen benannt werden wie „der Ritter vom Flakensee“. Gefällt mir. Eine Familie aus Pennsylvania hat sich bei mir gemeldet und angefragt, ob ich mit ihnen verwandt sei. Dort gibt es viele Flakes. Es gibt auch einen Otto Flake, einen Schriftsteller, das macht mich sehr stolz.

Aus dem Buch erfahren wir vor allem eines: die Musik und das Leben, beides ist für Sie ein einziger großer Spaß.
Auf jeden Fall. Es gibt wichtige Punkte, die ich im Leben geschafft habe. Am Anfang stand ich nur auf Vermeidung; ich habe unangenehme Sachen immer verdrängt. Ich war der Meinung, wenn ich Sachen nicht schlimm finde, dann sind sie auch nicht schlimm. Ich konnte das alles erst jetzt für mich analysieren. Und habe festgestellt: wenn ich mich ärgere, dann bin ich das doch, der sich ärgert und der leidet. Also ärgere ich mich besser nicht. Beispiel: Ich kriege im Lokal eine kalte Suppe. Ich ärgere mich nicht darüber, sondern sage: Hey, die Suppe schmeckt ja sogar kalt. So denke ich heute auch noch, genau so.

Hat das eigentlich mal jemand untersucht, warum Sie so dünn sind?
Ja, das liegt an der Schilddrüse. Ich bin deshalb ein schlechter Futterverwerter. Ich kann so viel essen, wie ich will, es ändert sich nichts. Ich esse wirklich viel und gern. Aber, Freunde, ich bewege mich auch viel. Nicht nur auf der Bühne. Es ist für mich nichts Ungewöhnliches, einfach mal eine Stunde zu laufen, durch die Stadt oder wohin auch immer.

Sie spielen in Ihrer Band Rammstein die Rolle des Außenseiters, sorgen für ironische Brechungen in der Show?
Menschlich gesehen bin ich natürlich kein Außenseiter. Ich bin ein voll integriertes Bandmitglied. Auf der Bühne hat sich das so ergeben, dass ich eine Rolle zu spielen habe, da ich als Keyboarder umher gehen kann. Till hält nur das Mikro fest, also schleift er mich über die Bühne.

Für eine deutsche Band spielen Sie angeblich zu wenig in Deutschland?
Ich finde das völlig in Ordnung. Natürlich wünschen sich die deutschen Fans, dass wir hier noch mehr Konzerte spielen. Das verstehe ich. Aber ich spiele beispielsweise auch gern in Südamerika und im Ostblock – da sind noch „die echten Wilden“, Musik hat da eine andere Wertigkeit. Es ist ein anderes Miteinander. Ich erinnere mich gern (auch im Buch) an unser Konzert in Samara, an der Wolga. Es war das größtes Konzert, das wir je gespielt haben. 700 000 Leute – mitten in der Steppe. Größer als Woodstock und nur einen Tag lang, mit vier Bands. Das war 2013.

Wir machen jetzt den Sprung nach Thüringen. Ihre Oma lebte hier in Gera, und Sie erzählen im Buch von etlichen Wanderungen durch Thüringen?
Ja, ich war sehr oft in Thüringen, zuerst als Kind mit meinen Eltern, später auch mit der Band „Feeling B“. Ich finde es nach wie vor wunderschön, schöner als viele große berühmte Touristenorte auf der Welt. Wenn man von Lobenstein runter ins Tal blickt oder von Rudolstadt aus ein Stück an der Saale lang wandert, von der Leuchtenburg nach Kahla schaut, das ist einfach so bezaubernd. Das gefällt mir nach wie vor. Ich erinnere mich auch gern an Konzerte in Nauendorf, wir waren sowohl mit „Feeling B“ als auch mit Rammstein dort (zuletzt 1995), das Publikum war fantastisch und wir haben „Wiegebraten“ gegessen, das ist ein eingelegter Fleischklumpen auf dem Grill. Was für ein Schmaus!

Sie haben in Saalfeld im Gefängnis gesessen, weil Sie beim Wandern zu nah oder doch ins Grenzgebiet geraten sind?
Wir sind nie ins Grenzgebiet hinein gelaufen, es standen Grenzschilder auf der rechten Seite des Weges. Aber die Anwohner fanden es merkwürdig, haben uns den ganzen Tag beobachtet und uns verpfiffen. Wir konnten aber glaubhaft nachweisen, dass wir gar nicht abhauen wollten. Dennoch haben wir dann zu dritt in einer kleinen Zelle gesessen, in der die Zentralheizungskörper etwa 20 mal gestrichen worden waren, und sind getrennt zum Verhör gerufen worden. Wir haben viel gelacht dabei – über den Irrsinn und Wahnwitz der Sache.

Es gibt sehr viele Fotos in dem Buch – mit witzigen Unterschriften. Teilweise gehört das gar nicht zum nebenstehenden Text?
Ich hatte am Anfang Angst, dass das Buch zu dünn wird. Da habe ich Fotos rausgesucht und das drunter geschrieben, was mir gerade dazu einfiel. Ähnlich wie in den Geschichten, die ich aufgeschrieben habe. Da komme ich ja auch vom Hundertsten ins Tausendste und schweife etwas vom Wege ab. Aber genau das hat mir großen Spaß gemacht.

Sie wohnen in Berlin, Prenzlauer Berg. Werden Sie da erkannt und angesprochen?
Nee, da wohnen ja jetzt auch viele Fremde. Die Frau im Getränkemarkt, die fragte mich mal nach einem Autogramm. Seitdem grüßt sie mich freundlich. In Amerika ist das anders. Dort herrscht eine gewisse Distanzlosigkeit. Aber in Deutschland ist das noch nicht so schlimm. Und wenn jemand ein Foto von mir haben will mit sich selbst drauf, dann sage ich: warum nicht? Wenn ich ihm oder ihr damit eine Freude machen kann...

Für wen haben Sie eigentlich das Buch geschrieben?
In erster Linie für mich! Das Buch ist nicht für die Fans der Band. Definitiv nicht. Es beschreibt mein schönes Leben, das ich in der DDR geführt habe trotz aller Widernisse und Unmöglichkeiten. Es ist ein Dankeschön an meine Eltern, meinen Bruder und alle Freunde, die mit mir und uns dieses bunte Leben geteilt haben.