Außerhalb der Realität (interview)

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This interview was published in the Breakout magazine. Issue 02/2015.

Original

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Bereits Monate vor Veröffentlichung ihres ersten gemeinsamen Albums "Skills in Pills" begeben sich Sänger Till Lindemann (natürlich Rammstein), sowie Multiinstrumentalist und Produzent Peter Tägtgren (Pain, Hypocrisy) auf eine ausgedehnte Interviewreise. Das Medieninteresse ist natürlich riesengroß. Es ist erstaunlich, wie gut und wie lange Till und Peter in der heutigen Medienlandschaft ihr gemeinsames Geheimnis hüten konnten. Als nämlich vor einigen Monaten die Ankündigung des gemeinsamen Projektes Lindemann herauskam, war die allgemeine Überraschung groß. Und die Erwartungshaltung natürlich noch größer.

Die ersten Hörproben - trotz eines wohl absichtlich qualitativ mäßigen Streams - erfüllen die Erwartungen. Und übertreffen sie an vielen Stellen. Das mit sourveränen Tägtgren-Riffs und fiesem Lindemann-Text garnierte Titelstück, mit dem unverkennbaren "R" ausgestattete "Ladyboy" oder das mit einem noch fieseren Text versehene "Fat", in dem auch das charakteristische Wörtchen "wunderbar" nicht fehlen darf: Tägtgren fährt die ganze Palette mit opulenter Instrumentierung, knallharten Riffs und poppigen Melodien. Ganze wie man es von Pain kennt. Nur eine Stufe wilder, ausufernder und einfallsreicher. Und an Tills englischen Gesang muss man sich zwar zuerst einstellen, aber die diesbezügliche Transformation funktioniert erstaunlich schnell und einfach. Dass nicht wenige der zehn Albumstücke mit Tabus und Verboten spielen und jonglieren erstaunt niemanden, der sich in der Materie auskennt und der die Geschichte des Duos kennt. Die Texte zu "Praise Abort", "Golden Shower" oder "Cowboy" sollten sich die deutschen Moralhüter lieber nicht in ihre Sprache übersetzen (lassen). Denn ansonsten könnte es passieren, dass für Lindemann und Tägtgren beim nächsten Mal die Pfroten des Münchener Nobelhotels, in dem wir uns treffen, verschlossen bleiben. In Bayern versteht man Späße und vor allem Doppeldeutigkeit eher selten und der einzige Song des Albums, der auch - ganz leise - in der Hotellobby laufen könnte und dessen Text nicht auf die zwölf und darüber hinaus geht, wäre wohl "Children of the Sun".

Till und Peter haben Tage und Wochen voller Interviews und Promotiontermine hinter sich. An disem Donnerstag ist unser Gespräch das letzt in einer langen Reihe. Doch die Laune ist gut. Den beiden merkt man den Spaß und die Begeisterung an der gemeinsamen Sache zu jeder Sekunde an. Da stört es auch wenig, dass die erste offizielle Albuminfo zu "Skills in Pills" etwas zu spät fertig geworden ist. Und die Gesprächspartner im Vorfeld somit nicht in vollem Umfang über das Unternehmen Lindemann informiert worden sind. Allerdings dachte ich eigentlich, das wäre eigentlich volle Absicht und ein Teil des Mysteriums, das Lindemann bislang umgab.

Till: Das könnte ich jetzt bejahen. Dem ist aber leider nicht so. Die Info ist einfach nicht rechtzeitig fertig geworden. Und wil sie einige Leute nicht bekommen haben, kommen bei manchen Interviews eben auch manche Standartfragen zum Einsatz. Die man nicht stellen müsse, wenn man vorher die Info gelesen hätte... Es ist aber auch alles ein wenig unsere Schuld. Wir ware mit dem Mix beschäftigt, mit der Arbeit am Cover... Und da haben wir eben ein paar andere Sachen vernachlässigt.

Dafür ist die Album/Bandinfo aus der Feder von Joel McIver aber ein ziemlicher Hammer geworden...
Till: Joel hat auf jeden Fall vollkommen ins Schwarze getroffen. Aber deswegen haben wir ihn auch verpflichtet. Es sollte eine etwas andere Info werden.
Peter: Wir sind ja auch ein etwas anderes Projekt.
Till: Wobei ich sagen muss, dass mir die ersten eineinhalb Jahre, als wir quasi in Geheimmission an unseren Songs gearbeitet haben, viel besser gefallen haben. Nachdem wir den Plattenvertrag unterschieben hatten. mussten wir Stück für Stück mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit und das Interesse ist natürlich groß. Jetzt können wir unser Baby nicht mehr "einfach so" weiterbetreiben. Und es überrollt uns eine Lawine nach der Nächsten.
Peter: Wir waren vielleicht etwas naiv. Lange dachten wir, dass wir zwei Idioten einfach so, außerhalb der Realität, im stillen Kämmerlein, an unserer Musik arbeiten könnten. Ohne ein bestimmtes Ziel. Eventuell dachten wir ab und an auch, wir könnten das alles nur für uns behalten und vielleicht niemals veröffentlichen. So naiv kann man sein.

Am Anfang stand sozusagen die Punkideologie. Till: Könnte man sagen.
Peter: Vor zwölf oder dreizehn Jahren habe ich Till gefragt, ob er nicht mal auf einem Pain-Album mitsingen möchte. Einfach so - bei einem Song. Er hat erstaunlich cool reagiert. Er meinte nur: "Eines Tages bestimmt!" Er wusste, dass ich Rammstein mag und ich hatte das Gefühl, dass er auf meine Musik steht. Danach ist erst einmal lange nichts passiert. Till war zu beschäftigt mit Rammstein, ich mit meinen beiden Bands und natürlich auch mit meinem Studio. Dann aber kam das Jahr 2013. Bei Rammstein ist eine Pause angekündigt worden und Till lud mich zu einer der letzten Festival-Shows ein. Bei der Gelegenheit meinte er, dass jetzt eventuell die Zeit gekommen sein, etwas zusammen zu machen. So hat das alles angefangen. Wir haben mit einem Song begonnen. Das hat sehr gut funktioniert. Dann kam der Nächste dazu. Alles lief sehr glatt und sehr natürlich. Nur wir beide waren involviert. Keine Plattenfirma, kein Management. Eine Art Hobby, wenn man es so nennen kann.

Klingt super, aber bei eurem Bekanntheitsgrad muss so ein "Hobby" nach einer Zeit ziemlich "ausarten". Peter: Wir dachten, alles kann einfach und natürlich sein. Aber irgendwann hat der ganze Zirkus angefangen. Aber ich bin froh, dass wir das Album vorher komplett fertigstellen konnten! Till: Zwischendurch dachten wir daran, nur einen Song herauszubringen oder vielleicht maximal eine EP. Aber sobald das Projekt bekannt geworden ist, sind alle Dämme gebrochen. Plattenfirmen traten an uns heran und wollten unbedingt ein Album haben. Das Timing danach war ein bisschen schlecht... die Lindemann-News kam heraus. Flake's Buch ist angekündigt worden und Richard veröffentlichte das zweite Emigrate-Album. Und schon begannen die Gerüchte um das Ende von Rammstein. Das wollten wir absolut nicht und das ist auch vollkommener Quatsch. Die band ist in einer Pause, im Herbst wollen wir uns treffen und schauen, wann und wie es weitergeht.

Ihr zwei habt zuletzt viel Zeit miteinander verbracht. Mögt ihr euch noch? Peter: Wir hassen uns. Ganz im Gegenteil. Je mehr Zeit wir miteinander verbringen, desto interessanter wird die ganze Sache. Ich lerne von Till eine ganze Menge. Ich finde es erstaunlich, wie er an manche Dinge herangeht. Und ich glaube, er lernt auch meine Welt besser und besser kennen! Man gibt und man nimmt. Und plötzlich sind zehn Songs alles in allem fertig! Till: Und wir haben noch Song Nummer elf in der Mache. Und außerdem noch viele Ideen, an denen wir zu dem richtigen Zeitpunkt wieder arbeiten müssen. Peter: Bei Lindemann ist wirklich alles möglich. Till war zum ersten Mal vor ziemlich genau einem jahr bei mir im Studio. Und seitdem haben wir eine Menge zustande gebracht! In einer bestimmten Phase haben wir erkannt, dass unsere gemeinsame Musik viel zu gut ist, um sie einfach nur online zu veröffentlichen. Aber auch nach dieser Erkenntnis haben wir Schritt für Schritt weiter gearbeitet. Ich habe noch nie an so einem natülichen Prjekt gearbeitet. zwei Typen erschaffen Musik miteinander und ergänzen sich dabei so gut, als würden sich bereits seit vielen Jahren zusammen arbeiten.

Und dabei kommen dann nette Liedchen wie "Fish On" oder "Fat" zustande. Oder die heftige, "quasi-Brokeback-Mountain-Weiterführung" "Cowboy"... Peter: Das passiert eben, wenn man in der schwedischen Einöde kreativ ist oder aber in den wilden, gefährlichen Straßen von Berlin. Ich glaube, die Leute haben bei Tills Texten eine gewisse Erwartungshaltung. und nur weil er jetzt auf englisch sing, heißt das nicht, dass er plötzlich nett, politisch korrekt und bequem wird.